Liederbuch für FRÖHLICHE
FÄLSCHER (7)
Anmerkung zu Seite 9. Kohlensaures
Geheimniß.
Ein gutes Kohlensaures Wasser zu bereiten und sich
dasselbe gut bezahlen zu lassen ist am Ende kein Kunststück
für Jemand, der im Besitz chemischer Kenntnisse,
zuverlässiger, wenn auch kostspieliger Apparate und von dem Wahn
befangen ist, es müsse ein Genußmittel, wie das
Brausewasser, mit derselben Gewissenhaftigkeit wie die Arznei für
einen Schwerkranken bereitet werden. Wie aber, wenn diese
Vorbedingungen bei Jemand nicht vorhanden? Vielleicht hatte dieser
anderer Jemand mühsam als Hausknecht oder Kellner die Trinkbatzen
zusammengeschnarrt und war auf die Annonce eines Fabrikanten
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von Mineralwasser-Apparaten gestoßen, welche
ihm verhieß, beim Ankauf einer wohlfeilen, vollständigen
Einrichtung. durch die Schnellbleiche einer gratis draufgegebenen
gedruckten Gebrauchsanweisung in zwei Stunden für und fertiger
Selterwasserfabrikant zu werden. An die Wunder unserer Zeit, aus fernen
Gebieten gedankenschnelle Kunde erlangen zu können, sind wir
gewöhnt; der Telegraph ist bereits als Wunder fadenscheinig
geworden, von Himmel und Hölle sind wir durch den Psychographen
nur noch wie durch eine dünne Tapetenwand getrennt, und Telephon
und Phonograph sind auf dem besten Wege die Lehr- und Hörsäle
überflüssig zu machen - warum soll nicht auch so eine
gedruckte Gebrauchsanweisung von heute Fernwirkung genug besitzen, und
als eine Art geistigen Telephons die auseinanderliegenden Gebiete der
Stiefelputzkunst mit der Mineralwasserfabrikation in Rapport zu
bringen? Die Gewerbefreiheit hat auch im vorliegenden Falle ihre
Segnungen bewiesen. Nicht mehr verlangt die Behörde ein Examen als
„Mineralaquist“ und es kann dem Staatsanwalt sehr
gleichgültig sein, wieviel Kohlensäure oder was sonst
für ein Gas der Fabrikant seinem Wasser aufpumpt, um es von
Sodaiisken „mit aber ohne“ verschnken zu lassen. Der
Kohlensaure Hausknecht ist aber nicht blos dazu da, im berechtigten
Kampf ums Dasein durch sog. schlechte Waare die Preise zu
schmeißen; nein, sein Streben eilt auch höheren Zwecken zu.
Das Publikum ist toll genug, zu
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glauben, je besser die Flasche beim Oeffnen
knallt, um so Kohlensäurereicher, „stärker“ ist
das Brausewasser. Der philiströse Concurrent des Hausknechts
weiß, daß nur eine mit atmosphärischer Luft gemengte
Kohlensäure Ursache des übermäßigen Verknallens
und damit verbundenen raschen Schaalwerdends des Wassers ist, darum
macht er, thöricht genug, sein Wasser luftfrei. Nun?! Wer ist
gefälliger, den Gewohnheiten des Publikums entgegenkommender, der
Hausknecht oder der tugendsame Fabrikant?! Doch der Hausknecht hatte
noch eine ungleich höhere Mission zu erfüllen. Das echte
Kohlensäuregeschängerte Wasser ist nämlich, wie dies
erst durch den Erfinder des Ozonwassers langsam aber sicher zu Tage
kam, ein gemeingefährliches Gift. Es ist ausgerechnet worden,
daß die Zahl Derjenigen, welche einst Selterwasser geschweigt und
nunmehr keinen Kater (?) zu bekämpfen hat, weil - post mortem
nulla voluptas - grüner Rasen die Gebeine deckt, bereits sich auf
viele Tausende Beläuft. Mußte da nicht der um das Wohl
seiner Mitmenschen besorgte Hausknecht still geschäftig daran
arbeiten, daß kohlensaure Gift aus der Welt zu schaffen? Wohl, er
thät es! er thut es! Während seine Collegen die Menge der
Kohlensäure im Wasser mehr und mehr herabminderten, war ein
Stettiner Kohlensaurer Hausknecht genial genut, mit einem Schlage mit
der Vergangenheit zu brechen und statt der Kohlensäure kurzweg
gewöhnliche Luft in sein Wasser zu pumpen! (Siehe
Industr.-Blätter 1877, S. 378). Diese geniale That gab jedenfalls
Anstoß zu folgendem höchst unchristlichen Gebet, welches die
Kohlensäure zur Rache auffordert:
Aus dieser Noth schrei ich zu Dir,
Dem ich vertrau,
Du kohlensau=
res Gas mich zu erquicken hier.
Mein Bierwirth, ach, ich weiß, der Schuft,
Macht seinen Witz
Mit dir im Spritz=
hahn, giebt statt Deiner Luft,
Gemeine Luft mit Kneipenduft!
An Deiner Stell’
Giebt auch der Sel-
terwasserfabrikant nur Luft.
O straf’ sie beim Champagner d’rob.
Entkorken schlau
Sie ihn - Pardau=
tz! Paff! den Kork an ihren Kopp!
* * *
S. 57 (Anm. Seite 16.)
Aber Bismarck!
Seitdem alle Welt durch Professor Roesler - Gott
segne ihn! - erfahren, daß dieser Bismarck kein Diplomat ist,
fällt es von aller Augen wie Schuppen, und Niemand begreift mehr,
wie es möglich sein konnte, daß ein solcher Mann jahrelang
als berühmter Zeitgenosse verkleidet umherwandeln und eine ganz
Nation, wenn nicht mehrer, zu täuschen vermachte. Sein
diplomatisches Fiasko konnte ihn leider nicht zurückschrecken,
sich auf anderen Gebieten zu versuchen und sich um die ungelegten
Columbuseier der Fälscherbekämpfung zu bekümmern. Es
konnte nicht fehlen, daß er auch hier sehr bald unterliegen
mußte. Nur ein Beispiel: Bismarck veranlaßte das Reichs-
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gesundheitsamt Nieske’s Haarfärbemittel
zu untersuchen; das Amt fand darin einen bisher, wie meineidlich
festgestellt ist, noch von Niemand in solchen Mitteln aufgefundenen,
angeblich gesundheitsschädlichen Stoff, dem es den Namen Blei gab.
Mit diesem Funk kam aber Bismarck zu seinem
chemischen Roesler, denn keiner geringeren Person als Sr. Angeblichkeit
dem Dr. Theobald Werner in Breslau, Direktor des Polytechnischen
Instituts und chemischen Laboratoriums war es vorbehalten, das
Böhnhasenthum des Reichsgesundheitsamtes festzustellen. Werner
konnte amtlich bescheinigen, daß der Nieske’sche Haarbalsam
unschädlich sei und ledilich aus einer Lösung
südamerikanischen Birkenbalsams bestehe.(1) - Bismarck war
vernichtet! Sein bekannter Bleistift, mit dem er das
Untersuchungsdecret gegen den Harmlosen Nieske unterzeichnete, hatte
seine tödtliche Spitze gegen ihn selbst gerichtet, und wenn auch,
um den Fehler zu verdecken, daß Reichsgesundheitsamt rasch einen
wahren Trödelladen bleihaltiger Dinge zusammenzuanalysiren sich
bemühte, Niemand glaubte ihm und nur einige ängstliche
Gemüther sprachen das Stoßgebetlein:
O bleib mit deiner Gnade
Wo anders nur nicht her, -
Ich bin noch viel zu schade -
Zehn schritt’ vom Leibe mir!
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Nicht kann ich dich vertragen,
In Löffel, Topfglasur,
Haarbalsam, Kinderwagen,
Nein, Du geniest mich nur.
O wolle mich verschonen!
Und laß’ in der Türkei
Dich nur zu blauen Bohnen
Gebrauchen, liebes Blei!
*