Engel-Hymne
1. Eh’ beginnt der frohe Reigen,
Stellt Euch hübsch im Kreis herum;
Jetzo soll ein Liedlein steigen,
Allen uns zum Gaudium.
2. Darin wollen wir besingen
Roter Rotte Teufelei,
Die vergebens wollt’ bezwingen
Engels Ordnungs-Polizei.
3. Erstens wollen wir verkünden
„Engels“-Macht und Teufelslist,
Die in Waldes tiefsten Gründen
Oefter sich begegnet ist.
4. Auch die Bahrenfelder Tannen
Waren Schauplatz der Geschicht’:
Engel wollt’ den Teufel bannen,
Aber das gelang ihm nicht.
5. Sonntags, so ums Morgengrauen,
Zog die rote Rotte aus,
Um sich heimlich zu erbauen
Und zu stärken sich zum Strauß.
6. Aber Engel war ein „Schlauer“,
Der mit seiner Spitzelschar
Stets den Roten auf der Lauer
Und fix auf den Fersen war.
7. Wenn dann so im besten Zuge
Drauß’ im Wald die Rotte war,
Naht der Engel sich im Fluge,
Polizeiheld ganz und gar.
8. Um und hinter ihm da keuchte,
Der Achtgroschenjungen Schar,
Doch die rote Rott’ entfleuchte,
Eh’ er ihr noch nahe war.
9. Flüche tat er dann wohl stammeln,
Alles Butterbrotpapier
Ließ er auf vom Boden sammeln,
War’s auch voll von Käseschmier’.
10. Tät’ die Nase darein stecken -
Das war seine höchste Kunst,
D’rin Verbot’nes zu entdecken -
Doch die Mühe war umsunst.
11. Was er fand, das waren Fetzen,
Von manch’ gutgesinntem Blatt;
Keine seiner Ausflugs-Hetzen
Jemals sich gelohnet hat.
12. „Diese Band’ muß Gott
verdammen“,
Rief er oft in grimmer Wut
Und schoß seines Zornes Flammen
Sonstens auf die rote Brut.
13. Ausweisung und Schriftverbote,
Haussuchung und Kerkerhaft,
Alles das ertrug die rote
Rotte damals meisterhaft.
14. Rote Farbe konnt’ vertragen
Engel all’ sein Lebtag nicht,
Darum zog in spätern Tagen
Er sich fort vom Tageslicht.
15. Seht hier diese alten Fahnen,
Die uns leuchten purpurrot,
Sollen immer uns gemahnen
An die Zeit der schweren Not.
16. Engel konnt’ sie nicht ergattern,
Als ein Held im Ordnungkrieg -
Er ist futsch - die Fahnen flattern,
Führen uns von Sieg zu Sieg.
Geschichte / Kommentar:
Das Engelhymne schildert ein Ereignis, dass sich
tatsächlich so abgespielt haben soll. Es spielt in Hamburg-Altona,
das damals zu Schleswig-Holstein gehörte. Der dort ansässige
„Allgemeine Sängerbund der vereinigten Liedertafeln von
Hamburg-Altona und Umgegend“ war am 14.11.1878 Im Zuge der
sogenannten „Sozialistengesetze“ kgl. Regierung Schleswig
verboten worden. Bei den wiederholten Versuchen der Polizei den
Arbeiter-Sängern Sozialistische Umtriebe nachzuweisen, tat sich
der Altonaer Polizeipräsident Engel besonders negativ hervor. Er
ließ bei einer Razzia als Belastungsmaterial das verstreute
Butterbrotpapier sowie andere Papierfetzen einsammeln und untersuchen.
Diese skurile Szenerie wurde von einem leider unbekannten Autor in den
1890er Jahren in Verse gefasst die nach der Melodie über den
italienischen Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini zu singen sind.
Eine Pikant war dabei nicht nur die personelle Gleichsetzung von
Räuberhauptmann und Polizeipräsident. Auch die Übernahme
einer Tonfolge der Marseillaise kurz vor Ende des Liedes klingt
besonders ins Ohr.
siehe auch: Allgemeiner Sängerbund der
vereinigten Liedertafeln von Hamburg-Altona und Umgegend (ASvLHA);
Arbeitergesang-Vereine; Marseillaise, Arbeitermarseillaise; Adolf
Heinrich Strodtmann; schleswig-holsteinische Marseillaise;