Die Rote Fahne.
(Polnisches Arbeiterlied.)
1. Des Volkes Blut verströmt in Bächen
und bittre Tränen rinnen drein,
doch kommt der Tag, da wir uns rächen!
Dann werden wir die Richter sein!
Stimmt an den Gesang! Nun wohlan!
Die Fahne trägt des Volkes Grollen
über Zwingburgen stolz himmelan.
Der Freiheit Morgenrot bricht an.
Rot ist das Tuch, das wir entrollen,
klebt doch des Volkes Blut daran!
2. Wohl knüpft ihr knechtisch finstern
Schergen
vergeblich das zerriss’ne Seil.
Das Schlechte fault in dumpfen Särgen,
das Gute zeigt der Welt zum Heil!
Die Fahne trägt des Volkes Grollen
über Zwingburgen stolz himmelan.
Der Freiheit Morgenrot bricht an.
Rot ist das Tuch, das wir entrollen,
klebt doch des Volkes Blut daran!
3. Tod euch, den Henkern, den Despoten!
Die alte Niedertracht zerfällt.
Wir pflügen um den alten Boden
und bauen eine neue Welt.
Die Fahne trägt des Volkes Grollen
über Zwingburgen stolz himmelan.
Der Freiheit Morgenrot bricht an.
Rot ist das Tuch, das wir entrollen,
klebt doch des Volkes Blut daran!
4. Auf Brüder, scharet euch zum Heere,
die Brust vom gleichen Geist durchweht!
Wo ist die Macht, die einem Meere,
die unserer Sturmflut widersteht!
Stimme an den Gesang! Nun wohlan!
Die Fahne trägt des Volkes Grollen
über Zwingburgen stolz himmelan.
Der Freiheit Morgenrot bricht an.
Rot ist das Tuch, das wir entrollen,
klebt doch des Volkes Blut daran!
Geschichte / Kommentar:
Inge Lammel berichtet von Forschungen des
sowjetischen Musikwissenschaftlers E. W. Hippius über Ursprung und
Verbreitung des Liedes (1). Danach liegt der Ursprung der Melodie des
Liedes in dem „Marsch der Freiburger Schützen“, das
von dem Organisten Jacques Vogt anläßlich eines
Kantonschützenfestes
der Schweizer Stadt Freiburg geschrieben worden
war und am 18. Juli 1843 vom dortigen Gesangverein unter Leitung des,
Komponist des Liedes, dargeboten wurde.
1) Lammel verweist auf E. W. Hippius. Die
Entstehung des Liedes „Le drapeau rouge“ - zur Geschichte
der „Roten Fahne“. Abgedruckt in: Beiträge zur
Musikwissenschaft, Heft 1/2, 1968, S. 16; auch E. W. Hippius,
Verschiedene Textfassungen des Liedes „Le drapeau rouge“.
Ebenda, Heft 4, 1968, S. 270.
Auf diese Melodie schrieb der ehemaligen
Kommunarden Paul Marie Brousse einen neuen Text, den er mit „Le
drapeou rouge“ (Die rote Fahne) betitelte. So erklang es am 18.
März 1877 auf einer Kundgebung zum Gedenken der Pariser Kommune in
Bern. Weitere sechs Monate später veränderte der
französische Dichter Achille Leroy in Genf den Text des Liedes. In
dieser Fassung gelangte es nach Polen. Hier schrieb der Dichter
Boleslaw Czerwienski im Jahre 1881 eine polnische Version unter dem
Titel „Czerwony Sztandar“.
Aus dieser Version wiederum entstand eine
russische Nachdichtung, die während der Revolution von 1905 eine
bedeutende Rolle spielte. Und diese Fassung war die Grundlage für
einen deutschen Text, der auf Rosa Luxemburg zurück geführt
wird. So wurde es zu einem der nicht nur in Deutschland meist
gesungenen Lieder.
In sozialdemokratische Liederbücher kam
es erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. In
kommunistische dagegen bereits ab 1919 in fast jedem Liederbuch, das
uns vorliegt bis 1931.
Quellen:
August Albrecht, Arbeiter- und
Freiheits-Liederbuch (Arbeiterjugend-Verlag), Berlin 1928, Nr. 14, S.
15
August Albrecht, Jugend-Liederbuch, (Verband der
Arbeiterjugend-Verein Deutschlands Berlin, 1929, S. 15
Die politischen Lieder von KPD, KJVD und RFB
Kampflieder. FSJ, Verlag Junge Garde (1), Nr. 4,
S. 8f.;
Kampflieder. FSJ, Verlag Junge Garde (21.-40.
Tsd.), Nr. 11, S. 20f.;
Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder, Berlin
(KAPD), 1920 + 21, Nr. 6, S. 7;
Kampfgesang. Proletarische Freiheitslieder, Berlin
(KAPD), 1921, Nr. 3, S. 5.;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1922, S. 5;
Kampflieder, VIVA, 1923, S. 11;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1924, 21.
bis 30. Tausend, Verlag „Junge Garde“ Berlin O 17, Nr. 9,
S. 11;
Rot Front. Neues Kampf-Liederbuch, Berlin 1925,
Nr. 26, S. 42f.;
Zum roten Sturm voran. Kampfliederbuch, Berlin
1926, Nr. 26, S. 42f.;
Rot Front. Das neue Liederbuch mit Noten, 1927
(Verlag Junge Garde, Berlin) Nr. 11, S. 20;
Front Kämpfer Liederbuch, 21.-40. Tausend,
Berlin 1928/29, Nr. 11, S. 6;
Mit Lenin. 50 Kampflieder, 21.-40. Tausend (ca.
1928/29),Nr. 11, S. 6;
Mit Gesang wird gekämpft’!, 1928, Nr.
16, S. 8; Arbeiter-Lieder (ca. 1929), Eine Sammlung proletarischer
Kampflieder, Wander-, Volks- und heiterer Lieder. – Wien:
Grünberg, 94 S. [Lammel, Biblio. Nr. 4040, S. 67 [wie Nr. 359], S.
8; Arbeiter-Kampfliederbuch. (Paul Schmidt), Berlin Ca. 1930, S. 14;
Arbeiter-Lieder (ca. 1930), KJVD, Verlag Junge
Garde: Hermann Remmele, Berlin, Nr. 15, S. 8; Arbeiterlieder.
Unter roten Fahnen. Kampflieder, ca. 1930 (Lammel
Nr. 428) S. 11.
Inge Lammel, Lieder der Partei, Berlin 1961, S.
13f.; Berger/Lammel, Lieder des RFB (Das Lied im Kampf geboren, Heft
8), Leipzig 1961; Lammel, Das Arbeiterlied, Ffm 1980, S. 105;
Lammel/Andert, Und weil der Mensch ein mensch ist, Dortmund 1986, S.
70, Nr. 40: