Arbeiterliedarchiv
Lancken
Gute Freunde
1. An der Weichsel, fern im Osten,
stand ein Schucker auf dem Posten
Ei, sieh, da kam ein dufter Kunde,
linke Trittchen, Zigarr’ im Munde.
2. „Ei, wohin, du dufter Kunde?
Ei, wohin, zu dieser Stunde?“
„Ach laß mich zieh’n, ich hab
viel Eile,
Denn mein Kollege reist alleine.“
3. „Dufter Kunde, bleibe stehen;
laß mal deine Fleppe sehen!
Und wenn du mich willst verkohlen,
werd ich dich ins Kittchen holen.
4. „Nein, o Schucker, sollst mich fleppen,
wirst mich nichts ins Kittchen schleppen,
Denn mir ist’s als ob vor Jahren
wir zwei beid’ auf Reisen waren.“
5. „Hör, Mathilde, mir geht’s
Licht auf!
Gib mir deine Kommer-Hand drauf:
Es war der Rhein, aus dessen Wogen
du mich Kunden hast gezogen.
6. Und dann sind wir lange Zeiten
herumgewalzt, ohn’ zu arbeiten.
Dann kam die Trennung, lang ist’s her,
als ich muß’ ins Militär.
7. Keinen laß ich mehr verschütt
geh’n,
sollt’s mir gleich an meinen Kragen
geh’n.
Und sollt’ ich selbst zu dieser Stunde
(wieder) walzen geh’n als dufter
Kunde!“
8. Halt, o Schucker, das hat Weile!
Du unterschreibst doch keine Zeile.
Läßt doch keinen geh’n in
Frieden,
wie du mir es hast beschieden!“
Wörterbuch:
Schucker - Polizist, Schutzmann [in Bayern
gebräuchlich]
dufter Kunde - Handwerksbursch, der sich a.d.
Straße auskennt.
linke Trittchen - Schlechte Stiefel.
Fleppe - Ausweispapier.
verkohlen - Beschwindeln.
Mathilde - Erkennungsausruf.
verschütt geh’n - Verhaften.
walzen - gehen, reisen, wandern,
Auf Posten
1. An der Weichsel gegen Osten
stand ein Füsilier auf Posten.
|: Ei sieh, da kam ein schönes Mädchen. :
|*
Brachte Blumen aus dem Städtchen
2. Ei wohin, du schöne Rose,
ei wohin, du Himmelsknospe?
„Ich bringe Blumen dir zum Strauße
Und dann eile ich nach Hause“.
3. Ganz verdächtig scheint die Sache;
du musst mit mir auf die Wache.
„Laß mich gehen, sieh ich meine,
meine Mutter ist alleine.“
4. Bist du treu dem Vaterlande,
so gib einen Kuß zum Pfande.
„Wirsts Gewehr weglegen müssen,
so du meinen Mund willst küssen.“
5. Küssen muß ich dich auf Posten,
sollt es gleich mein Leben kosten.
„Ei so mag uns Gott bewahren
vor so vielen Feindesscharen.“
* 1/3 auch:
Sieh, da kam ein schönes Mädchen.
Tod eines Soldaten
1. An der Weichsel gegen Osten
Da stand nach blutger Schlacht
In der späten Abenstunde
Ein Sachse auf der Wacht.
2. Er wandelt hin und wieder
Es naht ein Reitersmann
Mit tiefer, blutger Wunde,
Die er im Kampfe fand.
3. Gieb mit Wasser, lieber Kamrad,
Denn die Kugel traf so gut;
Dort an jenem Wiesengrunde
Da floß zuerst mein Blut.
4. Gewähr mir ein Bitte,
Grüß mir mein Weib und Kind.
Ich heiß Andreas Förster
Und bin aus Saargemünd.
5. Kaum hatt er dies gesprochen,
That er die Augen zu
Und öffnet sie nicht wieder,
Kehrt ein zur ewgen Ruh.
6. Er hat auch Weib und Kinder
Daheim am trauten Herd,
Sie erwarten ihren Vater,
Der niemals wiederkehrt.
Zeit: „bald nach
1815“;
1970-1914,
Geschichte / Kommentar:
An der Weichsel, fern im Osten - Gute Freunde
„Dieses Landstreicherlied hat Hans Ostwald,
der deutsche Gorki, aufgezeichnet und es mutet wie der Traum eines
Wundergläugiben an, der im erbitterten Todfeind den einstigen
Bruder sucht. Aber die letzte Strophe zerreißt das Traumbild und
in ihr spiegelt sich die ganze Bitterkeit des Vagabundenlebens. Durch
fast alle Lieder, die die Stromer auf der Walze singen, zittert die
Angst um die bedrohte Freiheit.“ (Wiener 1918, S. 28)
Die Melodie und die Textvorlage gehörten zu
einem vielgesungenen Soldatenlied, das bereits mit zahlreichen
Varianten dokumentiert ist („An der Weichsel gegen Osten stand
ein Ulane auf dem Posten“). Erk/Böhme datieren es auf
„bald nach 1815“, da einige Vokabeln an
französich-russische Feldzüge erinnern.
Eine Variante des Kundenliedes vom Anfang der
dreißiger Jahre endet provokativer: „Wenn ihr meine Flepp
wpllt wissen werd ihr wohl vom Rad absteigen müssen“ (DVA
A140202, Koepp 1933). Diese Fassung bietet auch eine sprachliche
Kuriosität. So wird der Gegenüber weder als Schucker
(Polizist) noch als Gendarm, sondern als „Grenzdarm“
bezeichnet.
Auf Posten (Das Soldatenlied)
Ein weit verbreitetes volkstümliches Lied,
dessen Verfasser unbekannt ist und das in zahlreichen Varianten belegt
ist. Erk/Böhme meinen, es sei „bald nach 1815 entstanden
sein: Weichsel und Douane erinnern an franz.-russ. Feldz.“
und A Müller, Erzge. VL. Sl 24: Ein
sterbender Landwehrmann, Andreas Förster, giebt seinem Kameraden
letzte Aufträge und schließt die Augen (s. oben Nr. 1386).
Tod eines Soldaten (Andreas Förster und
andere)
Mit gleichem Liedanfang gibt es außerdem
Lieder, die eine andere Geschichte haben. Thematisch haben wir
Angenetter vermerkt dazu:
„Ein in der Literatur mit diesem Anfang, der
jedenfalls unter Einfluß des vorhergehenden Liedes entstand,
nicht oft nachweisbares Lied (vgl. Meier, Kunstlieder, S. IXXXVII), das
aber ursprünglich anders begann, wie eine Aufzeichnung im
geschriebenen Liederbuch des Agydius Hidinger vom Infanterieregiment
Nr. 27 (König der Belgier) aus dem Jahre 1908 beweist.“
Quelle:
Vagabunden-, Kundenlied
Hans Ostwald 1; Wiener 1918, S. 28; Erk/Böhme
1925, Nr. 1427.
Oskar Wiener (Prag), Das deutsche Fuhrmannslied
und die Lieder der Landstraße. In: Sammlung Gemeinnütziger
Vorträge / herausgegeben vom Deutschen ...? in Prag, Febr. (?)
1918, 44. ...?... Nr. 418 (?) (schlecht lesbar) S. 28.
Auf Posten
Johann Lewalter, Deutsche Volkslieder. In
Niederhessen aus dem Munde des Volkes gesammelt. Hamburg 1890 Heft 1,
S. 65.
Ludwig Erk u. Franz Magnus Böhme, Deutscher
Liederhort, Bd. 3, Leipzig 1925. Nr. 1427, S. 286f. (6 Strophen, 2
Melodien)
Klabund [Alfred Henschke], Das deutsche
Soldatenlied, wie es heute gesungen wird, München 1916, S. 9
Artur Kutscher, Das richtige Soldatenlied, Berlin
1917, S. 7f.
Johann Lewalter, Reichswacht. Soldaten - Matrosen
und Vaterlandslieder, Kassel 1918, S. 91.
August Angenetter, Emil Karl Blümml, Lieder
der Einserschützen, Wien 1924, A 6, S. 27 und 138f.
Johannes Künzig, Lieder der badischen
Soldaten, (Ausgabe B), Leipzig 1927, Nr. 92 S. 134f. (Erkl. S. 20:)
Spätere Zusammenfassungen
Reinhard Olt, Krieg und Sprache. Untersuchungen zu
deutschen Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs, Gießen 1980, Bd.
2, Nr. 58 S. 35. Str. 1-3