Harfenisten und Harfenistinnen 

Als sich 1865 Wilhelm Kayser in den „Fliegenden Blättern aus dem Rauhen Hause“ über die Þ„Hurdy-Gurdy-Girls“ empörte, verglich er diese mit den „Harfen-Mädchen Deutschlands“. Über diese „minder zahlreiche Classe“, die „durchschnittlich mit etwas mehr Politur ausgestatt“ sei, gibt es wenig Literatur. Anders sieht es mit den „Harfenisten“ und „Harfenistinnen“ aus, die im 19. Jh. ihr berühmtestes Zentrum in Wien hatten. Zusammen mit den Moritaten- und ÞBänckelsängern bevölkerten sie nicht nur die Märkte und Volksfeste, sondern auch in diversen Lokalitäten der Donaumetropole.
„Harfenisten schleppen außer dem ‘Lamentiergattern’ noch den Buckelkorb mit, in dem sie effektvolle Fetzen aus irgendeiner Trödelbude verborgen halten. […] Außer den verschiedenen Schenken und ‘Beiseln’, wo die Harfenisten ihre Quartiere aufschlugen, wurden auch die vielen Höfe Alt-Wiens als Schauplatz der Produktionen gewählt. Durchhäuser genossen besondere Beliebtheit. In der schönen Jahreszeit scharten sich oft unzählige Bewunderer um die musizierenden ‘Künstler’. Bei schlechtem Wetter oder im Winter, wenn die ‘Delphine’ ausblieben und die Musikbegeisterten von den Hoffenstern der Stockwerke zuhörten und ihren Obolos in Papier gewickelt zuwarfen, gab es schlimme Zeiten. Oft, wenn die Harfenisten Kasse machten, entdeckten sie zu ihrem Ärger in den Papierln Hosen- und Bleiknöpfe. Nach den unseligen Tagen der Franzoseninvasion schossen die Harfenisten und Bänkelsänger wie Pilze aus der Erde. Ihr Vortragsprogramm schrie zum Himmel. Die Zote dominierte. Meist waren es anrüchige Gesellen, die nicht selten die Gäste der Wirtshäuser, in denen sie sich produzierten, in rüdester Form anflegelten.“ (Josef Koller, Das Wiener Volkssängertum in alter und neuer Zeit, Gerlach & Wiedling, Wien 1931, S. 4f.)
Das öffentliche Musizieren war laut Koller seinerzeit in Wien nicht gestattet aber vielfach geduldet. Die Musiker traten auf der „Pawlatschen“ auf (eine Bühne, die z.B. aus Kellertür bestand, die über vier Fässer gelegt wurde). Die Gage dürfte jener der „Bratlgeiger“ vergleichbar gewesen sein. Die hatten ihren Namen erhalten, weil sie für ein Abendessen (Braten) spielten. Akteure, die allerdings allzu aufmüpfig waren oder gegen die damaligen Sitten handelten wurden „wegen Vabagundage bestraft“ oder von Amts wegen verprügelt. Jugendliche wurden „kurzweg in das ‘weiße Röckel’ gesteckt“ und lernten „militärischen Geist kennen“. Als die Behörden durch die sogenannte ‘Beiselsängerei’ eine Einbuße im Fremdenverkehr befürchteten begannen sie ‘Erlaubnisscheine’ an musikalisch gut beleumundete Personen auszugeben. „Der neue Vorgang führte zu einer vorübergehenden Besserung. Das Niveau der Vorträge hob sich. Das Publikum bekam zotenfreie Lieder zu hören, ernste Gesänge, meist ‘Schmachtfetzen’ wie ‘Horch, was rauscht an der Kirchhofmauer?’ oder ‘Wilhelmine am Grabe’ und andere Romanzen fanden Beifall und auch Gesänge aus bekannten Theaterstücken interessierten.“ (Koller, 1931, S. 5)
Als sich zur Mitte des 19. Jhs. die wirtschaftliche Situation verbesserte, fanden auch Harfenistinnen Eingang in die Szene. Sie fielen besonders in den Vierteln der Wiener Halbwelt auf. Koller klagt, dass „in manchen Lokalen […] die Venus vulgivaga allabendlich die stärksten Orgien [feierte]. Zu den Verkünderinnen der lockersten Lebensanschauung zählte die fesche ‘Riemer-Nani’, die im Beisel des Peter Koch am Spittelberg ihr Publikum begeisterte. Die mimischen Zutaten zu ihrem Leiblied ‘Schnapp auf und schnapp nieder!’ waren das Stärkste, das je geboten wurde. Auf dem Gebiete der Chochonnerien leistete auch die ‘Juden-Liesel’ als ‘dudelnde Phryne’ ihr Stärkstes. Wenn sie beim ‘Mondschein’ in Matzleinsdorf auftrat jubelten ihr die Lebemänner zu.“ (Koller, 1931, S. 8) Die Polizei verhängte erneut Auftrettsverbote und diesmal gab es Lizenzen für die ‘Pablatschen-Primadonnen’ (Sängerinnen).
Dass besonders die weibliche Akteure dieses Berufsstandes (auch) in der Literatur für Aufsehen sorgten, sollen ein paar kurze Beispiele veranschaulichen. Während Klaus Groth im Norden allerdings allerdings nur Augen für „De ole Harfenistin“ hatte, machte Heinrich Heine andere Erfahrungen, wie er in seinen „Reisebildern“ von München nach Genua (Kap. XX) schrieb:
„Die kleine Harfenistin mußte wohl bemerkt haben, daß ich, während sie sang und spielte, oft nach ihrer Busenrose hinblickte, und als ich nachher auf den zinnernen Teller, womit sie ihr Honorar einsammelte, ein Geldstück warf, das nicht allzuklein war, da lächelte sie schlau, und frug heimlich: ob ich ihre Rose haben wolle? Nun bin ich aber der höflichste Mensch von der Welt, und um die Welt! möchte ich nicht eine Rose beleidigen, und sei es auch eine Rose, die sich schon ein bißchen verduftet hat. Und wenn sie auch nicht mehr, so dacht ich, ganz frisch riecht, und nicht mehr im Geruche der Tugend ist, wie etwa die Rose von Saron, was kümmert es mich, der ich ja doch den Stockschnupfen habe! Und nur die Menschen nehmens so genau. Der Schmetterling fragt nicht die Blume: hat schon ein anderer dich geküßt? Und diese fragt nicht: hast du schon eine andere umflattert? Dazu kam noch, daß die Nacht hereinbrach, und des Nachts, dacht ich, sind alle Katzen grau, die sündigste Rose eben so gut wie die tugendhafteste Petersilie. Kurz und gut, ohne allzu langes Zögern sagte ich zu der kleinen Harfenistin: ‘Si Signora’ - - -“
Adolf Glaßbrenner machte sich in seiner üblichen Schreibe über die Wortwalt der Harfenisten her:
„Der Wiener Jargon ist im Ganzen lebhaft, drollig und gemütlich; er liebt die Diminutiven, überhaupt die Diminution, und läßt mit sich machen, was man will. Er ist ein seelensguter Mensch der Wiener Jargon, und wird immer gutmütiger, je weiter er sich herabläßt. Man wundert sich schon, wie die vornehmen Leute mit ihm umgehen; man wundert sich über alle Kaufleute, Fabrikanten usw., die ihn über ihre Schilder jagen; aber was er sich vom niederen Volke gefallen läßt, das geht ins Weite; das ist ungeheuer! würden die Wiener sagen. Da ist an seine Mutter, die deutsche Sprache, gar nicht mehr zu denken; der Junge hat alle mögliche Naturen angenommen; heut spricht er so, morgen so, für denselben Begriff hat er übermorgen ein ganz anderes Wort als gestern, und aus einem dreisilbigen Worte vier Silben fortzulassen, ist ihm eine Kleinigkeit! Bei dem Harfenisten reimen sich unbedingt alle Wörter mit allen Wörtern; ich möchte nicht das Wort sein, was sich unterstünde, sich mit einem andern nicht reimen zu wollen. Er drehte ihm den Kopf um, risse ihm die Füße aus und steckte sie ihm in den Hals. So etwas passiert sehr oft, wenn die Wörter zur Schlachtbank der Volkspoesie geführt werden, und trotzen wollen. Der Harfenist reimt Stiefelputzer und König, Liebe und Heringssalat, Italiener und Waschfrau, Koch und Müller, Billard und hätte, Barett und setzen, das ist ihm alles leichtes Spiel! Er nimmt die Wörter in den Mund, verzieht ihn ein wenig, als ob er Essig oder Landwein getrunken hätte, und singt dann die Harmonie heraus. Aber merkwürdiger ist es noch, daß man ihn versteht! Die Wiener müssen in kurzer Zeit alle Sprachen lernen, denn sie verstehen alles: der Harfenist mag Sanskrit, hebräisch, griechisch, chaldäisch, fez- und marokkoisch, er mag eine Sprache sprechen; die noch gar nicht erfunden ist! Sein Landsmann versteht ihn, und ob ich ihn verstanden habe, ist ihm äußerst gleichgültig.“

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> Bänckelsang; Hurdy-Gurdy-Girls; Fiaker; Glasbrenner,

Abb.: Die letzte Harfenistin, Magdalena Hegenauer, geb. 1807, gest. 1889 (S. 7)






Klaus Groth: Quickborn
De ole Harfenistin



Ik weer mal junk un schön,
Dats nu ni mehr to sehn.
Ik harr de Rosen op de Back,
Ik harr de Lucken um de Nack;
Wa weer ik junk un schön!
Wa weer ik junk un schön!
Ik sung vær Lust un Moth,
Ik sung vær Kleen un Grot,
Un Alle, de mi hörn un sehn,
De sän, ik weer so junk un schön.
Wa harr ik Lust un Moth!
Wa harr ik Lust un Moth!
Ik dach ni an de Noth,
Ik dach ni an den Dod.
Vun Mark to Mark, vun Hus to Hus,
Und wo ik keem, dar weer’t en Lust:
Wer dach wul anne Noth?
Wer dach wul an den Dod?
Ik sing noch jümmer fort,
Un krup vun Ort to Ort,
Un wenn ik sing vun Lust un Lev,
Wer fragt mi nu, warum ik bev?
Ik sing man jümmer fort,
Ik sing man jümmer fort.














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