„Im Spital (2)
Nachdem ich ein primitives Bad
genommen und mit riner Wäsche versorgt war,
wies man mir ein Bett an, das im
äußersten Winkel stand, wo die
Wünde Spuren von Feuchtigkeit zeigten. Ich sah
sehr bald, daß es die Nonnte mit der Wahrheit
nicht so genau nahm, wenn sie von Platzmangel
sprach, da noch einige Betten unberührt
standen. Hoffentlich wird ihr diese Lüge nicht
als Todsünde angerechnet. Es wäre mir
sehr unangenehm, die Ursacht zu sein, daß
eine Braut Christi ewig in der Hölle schmoren
muß.
Endlich, nach Monaten, ein
reines Bett! Dieses ungewohnte Lager erzeugte trotz
der Schmerzen solch ein angenehmes Gefühl in
meinem Körper, daß ich in kurzer Zeit
einschlief.
Als ich erwachte,, stand ein
alter Mann an meinem Lager, zwei Nonnen am
Fußende des Bettes. Im ersten Augenblick
wußte ich nicht, wo ich mich befand, erst
langsam kehrte das Erinnerungsvermögen
zurück. Der Mann - es war der Doktor - klopfte
mich nach allen Regeln der Kunst ab, ließ
sich die Zunge zeigen, dann schrieb er ein Rezept.
„Nichts von
Bedeutung“, brummte er vor sich hin und
wendet sich andern Kranken zu.
Ich mußte lange
geschlagen haben, denn die Sonne stand schon
ziemlich hoch, während sie beim Betreten des
Spitals schon dem Untergange nahe war.
Durch die offenen Fenster
drang der Gesang der Vögel, das Rauschen der
Bäume schlich sich wie ferne Musik an mein
Ohr.
Doktor und Nonnen
verließen den Raum.
Neben mir lag ein Mann - ein
Typhuskranker - der im Delirium das tollste Zeug
schwatzte; in einer Zimmerecke keiften zwei alte
Weiber. Wenn das alles wahr gewesen wäre, was
sie sich gegenseitig vorwarfen, hätten zwanzig
Jahre schwerer Kerker für jede nicht
genügt, um die Schuld zu sühnen. Ein
altes Männchen saß beim Fenster und
versuchte an einer alten Hose seine Schneiderkunst
zu erproben, doch schin ihn die Arbeit nicht
besonders zu befriedigen, da man öfters einen
Fluch hören konnte. Ein anderer - eine magere
Gestalt mit großem Wasserkopf, der jeden
Augenblick abzubrechen drohte - saß beim Ofen
und qualmte fürchterlich aus einer kurzen
Pfeife. Die Kranken husteten, die Frauen
schimpften, aber das ließ den Idioten kalt,
er qualmte weiter. Einige andere Kranke saßen
im Bett und stierte wie geistesabwesend vor sich
hin. Sie warteten auf einen neuen Hustenanfall, der
jedesmal den zerrüttetn Körper krampfhaft
durchbeutelte.
Mir ging es so wie allen
Neulingen, die zum erstenmal in ein Spital kommen.
Der Schmerz der anderen ließ mich den eigenen
vergessen. Fort, fort, nur nicht dieses Elend,
diesen menschlichen Jammer mit ansehen müssen,
der einem das Herz zerwühlt und das Hirn
zermartert!
Von Zeit zu Zeit betrat
für einen Augenblick eine der Nonnen das
Zimmer, um nach den Kranken zu sehen. Diese
Gesellschaft schien ihnen aber nicht zu behagen,
sie ergingen sich lieber in dem blühenden
Garten.
Langsam kreiste der
große Zeiger um das Zifferblatt der alten
Schwarzwälderuhr, noch langsamer besorgre das
der kleine.
Endlich war es Mittag. Die
Nonnen brachten das Essen, das sie den Kranken auf
den Stuhl vor dem Bette stellten. Geräuchertes
Schweinefleisch, Kraut und Knödel steht sonst
gerade nicht auf dem Speisezettel der
Spitäler, soll auch für Kranke nicht
besonders zuträglich sein. Aber hier schienen
sich Doktor und Nonnen über die
Verdauungsstörungen der Kranken nicht den Kopf
zu zerbrechen. Vogel friß oder stirb, das
schien die Devise zu sein, von der man sich leiten
ließ.
Die eien verschlangen das
Essen mit Heißhunger, die anderen
betrachteten es mit einem Blick, durch den der Ekel
zum Ausdruck kam und ließen es stehen.
Mir fiel auf, daß nur
die Kranken Essen bekamen, wärhend man die
Armenhäusler überging. Meine
Erkundigungen ergaben, daß die hier
untergebrachten Armen nur freies Logis und ein
Rente von 60 Hellern monatlich von der
fürsorglichen Gemeinde bekamen. Den
Lebensunterhalt mußten sie sich erbetteln
oder was noch besser, sie konnten sich hinlegen und
Kosten der Gemeinde - verhungern. Kein Wunder,
daß dei Bedauernswerten die derben
Klöße und das schwarze Fleisch mit den
glanzlosen Augen zu verschlingen suchten.
Unter solchen Umständen
verging mir der Appetit - ich schob dem Schneider
meine Mahlzeit zu.
„Ich möchte es
schon essen, aber wenn es die Schwestern sehen,
machen sie Krawall.“
Es kostete mich Mühe, den
eingeschüchterten Greis dazu zu bewegen, sich
das Fleisch in ein Papier zu wickeln, um es
später ungestört verzehren zu
können. Aber gar bald sollte ich eine andere
unliebsame Erfahrung machen.
Kaum betrat die Nonne das
Zimmer, als auch schon ein altes Mütterchen
den Schneider denunzierte, daß er von mir das
Fleisch genommen.
„Wer hat Ihnen das
erlaubt?“ schrie die Nonne den zitternden
Greis an.
Mit stieg ob solcher
Brutatlität das Blut zu Kopf, erregt fuhr ich
dazwischen:
„Ich. - Diese Mahlzeit
gehört mir, daher habe ich auch das Recht,
darüber zu verfügen.“
Die Nonne, an einen
Widerspruch nicht gewöhnt, verließ
kreischend das Zimmer, der Schneider verzehrte
schmunzeldn sein Fleisch, der Zwischenfall war
erledigt.
Vier Tage blieb ich noch in
diesem „gastlichen“ Hause und vier Tage
bekam ich noch geräuchertes Schweinefleisch,
Kraut und Knödel. Auf meine Frage, warum den
Kranken keine andere Nahrung vorgesetzt werde,
bekam ich von dem Schneider folgende Auskunft:
„Ja, wissen Sie, die
Sache is so: In der Nähe der Stadt ist ein
Kapuzinerkloster, deren Insassen die ganze Gegend
abbetteln. Die Bauern haben wenig Geld und so geben
sie Lebensmittel, besonders geräuchertes
Fleisch, da sich dasselbe am längsten
hält. Nun können und wollen die Kapuziner
nicht immer geräuchertes Fleisch essen, die
sind etwas besseres gewöhnt. Sie liefern es
daher um billiges Geld dem Spitale, wo es dann den
Weg in die Mägen des Kranken findet.“
Aus: Ferdinand Hanusch,
Ferdinand Hanusch, Wien 1907, S. 72ff.
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