Saumarkt in Spalt

Am letzten Sonntag im August oder am ersten Sonntag im Sept., da wird in der Regel angefangen und dann werden die Leute angenommen. Fast in jedem Hause ist ein sogenannter Stamm  von Hopfenzupfern da, das sind Leute, die fast alle Jahre wieder kommen und immer auf den selben Platz gehen. Da gibt es Kunden und auch andere Leute, die schon 10 bis 20 Jahre zu einem Bauern kommen. (...) Auf der Brücke in Spalt ist die Stelle, wo fast immer an den genannten   Sonntagen vor der Ernte 50 bis 100 Handwerksburschen versammelt sind, meist solche, die noch keinen richtigen Platz haben oder auch, die nicht ins Wirtshaus gehen können, weil sie kein Geld haben. Da werden die noch  fehlenden  Leute  geholt,  und  wenn  sie  beisammen   sind,   wird   das   Strohlager zurechtgemacht. (...) Nur auf solchen Plätzen, wo blos ein paar Mann beschäftigt werden, sind die Bauern im Stande, ein Bett herzugeben, jedoch sind solche Plätze in Spalt sowie in  der Umgegend selten (...) Sonntags gegen Abend  geht es  in den Hopfengarten, und es wird so viel Hopfen hereingeholt, daß die Leute des Montags in der Frühe gleich mit der Arbeit anfangen können. Ist der Hopfen daheim und sind die Papiere abgegeben, so kann man 50 Pfennig Vorschuß bekommen, denn die meisten haben in der Regel keinen Pfennig. Dann geht es ins Wirtshaus, und es werden ein paar Maß Bier getrunken. (...) In der Woche geht es in Spalt ruhig zu, (...) sie müssen fleißig arbeiten (...) Machen sie wirklich blau, (...) kriegen  sie  ohne Gnade drei Tage Arrest, den sie in Roth abmachen müssen, wo das Gericht ist. Akkordarbeiter dürfen des Tags über in der Wirtschaft sitzen, denn sie haben die Ausrede, sie müssen was essen, diese werden auch von den Gendarmen in Ruhe gelassen. Des Abends ist in Spalt um 9 Uhr Polizeistunde, selbst für einheimische Bürger. Dies ist nur auf die Dauer der Hopfenernte, auch des Sonntags. Nur Akkordarbeiter sind davon ausgeschlossen, sie sagen immer, wenn eine Patrouille kommt, ich habe mir was zu essen bestellt. Darum trifft man auch die durchtriebenen Kunden alle an den Orten, wo in Akkord gearbeitet wird.

Den ganzen Tag kann man in Spalt fast in allen Häusern Gesang hören. Die alten Volkslieder werden den Tag über wohl mehr als 10mal gesungen; desgleichen hört man auch in den Hopfengärten überall lustigen Gesang. Auf der einen Stelle hört man den Gesang von mehr denn 20 jungen Mädchen, auf der anderen sind es Kinder, wieder an anderen Orten sind es die Kunden, die aus ihren versoffenen Kehlen rohe Lieder ertönen lassen. Auf einigen Plätzen meint man, es sei ein guter Gesangverein, der dort seine schönsten Lieder zum besten gibt, so paßt der Gesang zusammen; es sind Kunden, alte und junge, die sich schon viele Jahre kennen, und schon oft mit einander gesungen haben. Es herrscht überall Eintracht unter den Leuten, obgleich sie von allen Staaten des mittleren Europas und aus allen Klassen zusammengekommen sind. In der Regel sind es aber immer Leute, die sich von der Reise aus kennen oder von ein und derselben Sorte beisammen sind. Die Speckjäger werden nicht leicht auf einen Platz gehen, wo meistens nur Kadetten sind, und so machen es die anderen auch, ein jeder bleibt bei seinen Kollegen. Es hat aber auch fast jede Sorte von Bettlern ihre eigenen Häuser, wo sie arbeiten, und es ist gut so, denn dadurch wird mancher  Streit vermieden.

Des Sonntags aber ist die Sache anders. (...z.B. Kunde und Schickse waschen das einzige  Hemd...) (...) Hat der Kunde sein Hemd gewaschen, so läßt er sich rasieren, kauft sich einen neuen Papierkragen und ein papierenes Vorhemd, und dann geht es ins Wirtshaus zum Frühschoppen. In den Wirtshäusern geht es auch am Vormittage noch ruhig zu. Die nicht in den Wirtshäusern sitzen, sind daheim Etliche flicken ihre Hosen, die in der Regel bei den meisten zerrissen sind, andere schreiben für sich oder für andere Papiere, denn jetzt haben sie Zeit dazu. Da werden Arbeitsbücher und  Heimatsscheine, Lehrbriefe und Abmeldebescheinigungn, Zeugnisse und Quittungskarten auf allerhand Namen und Geschäfte verfertigt; was der eine nicht hat, das hat der andere. Da geht ein Tauschen und Verkaufen den ganzen Vormittag, selbst Ehen werden dort geschlossen. (...) Es kostet auch nicht mehr wie bei den Standesbeamten, nur eine Mark, wenn es kein Bekannter ist.  Bekannte zahlen blos ein paar Maß Bier, denn da beruht die Sache auf Gegenleistung. (...) Ist das Mittagessen vorbei, so geht es ins Wirtshaus. Den gehörigen Vorschuß hat sich ein jeder  echte  Kunde  geben  lassen.  Da  wird  getrunken  und  gesungen,  denn  so  lange  die Kunden  noch  nüchtern  sind,  geht  es  immer  noch  gemütlich  zu.  Später  gehts  auf  die Hauptstraße, wo es so von Menschen wimmelt, wie bei den Messen in den Großstädten. Da sind von den Nachbarstädten Obsthändler, sogar ein paar Stände sind dort, wo Roßwürste zu verkaufen sind. Vor dem Rathause steht ein Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett und heruntergelassener Schuppenkette als Posten vor Gewehr. In dem Torbogen des Rathauses sitzen mehr als 20 Gendarmen, wie auf einer Hauptwache. Alle viertel Stunden geht eine Patrouille von 5 Gendarmen unter Führung eines Segeanten die Straßen auf und ab. In den 80er Jahren waren diese Patrouillen 25 Mann stark; Sonntags waren noch 60 Mann von der Feuerwehr als Schutzleute beigegeben. Jetzt ist es nicht mehr nötig, da sich die Zahl der Handwerksburschen bis auf ein viertel der ganzen Hopfenzupfer verringert hat Auch ist des Sonntags der Gendarmerie-Leutnant von Ansbach und der Wachtmeister von Schwabach da,  und es ist einem jeden Gendarm verboten, des Sonntags in ein Wirtshaus zu gehen, und darum  kommt  jetzt  nicht  halb  so  viel  vor  als  früher,  wo  in  jeder  Wirtschaft  ein  paar Gendarmen saßen. Ja sie haben die Kunden geradezu gereizt. (...)

(...) es gibt hier und dort kleine Raufereien. Wie es früher vor 20 Jahren noch fast an jedem Sonntag der Fall war, daß einer erstochen wurde, kommt es jetzt nicht mehr vor, oder es ist doch wenigstens mehr als 10 Jahre nicht wieder vorgekommen. Der meiste Streit kommt durch die Weibsleute her, namentlich durch solche, die keinen Kerl bei sich haben; da will sie nun jeder mit sich nehmen, und dann gibt es Streit, weil einer dem anderen das Mädchen nicht gönnt. Auch werden viele von den Bauernmädchen, die nach Spalt kommen, um die Hopfenernte mitzumachen, von den Kunden verführt. Auch kommt es nicht selten vor, daß einige mit auf die Reise gehen, und dann für immer verloren sind. An vielen von den Bauernmädchen ist so wie so nichts mehr zu verderben, denn sie sind schon viel schlechter als  jedes  gemeine  Bettelmensch,  das  schon  Jahre  langs  als  Staubhenne  in  der  Welt herumgeht. Auch bringen einige Kunden oft Mädchen mit, die sie von dort, wo sie zuletzt gearbeitet, mitgenommen haben, oft ganz junge, kaum aus der Schule entlassene Kinder, die sich zu ihrem Zweck besser abrichten lassen (...)

Am zweiten Sonntag, wenn die Hopfenzupfer schon etwas mehr Geld verdient haben, veranstalten sie einen Umzug durch die Stadt. Etliche 20 Zigeuner gehen als Musikanten voraus, mit Trompeten und Klarinetten, Pauken und Trommeln machen sie eine ganz schöne Musik, oft viel besser als wie man sie in kleineren Städten bei Festlichkeiten hört. Dann kommt  der  vor  einigen  Jahren  neu  erwählte  Hopfenkönig  mit  seiner  Frau.  Es  ist  ein Schnallentreiber (3,  Anm.3: Zuhälter ), und seine Frau eine  Dirne,  er  ist  mit  ihr  richtig verheiratet. Er ist von Nürnberg und sie von Eichstätt in Bayern zu Hause. Sie sitzen auf einem von den Zigeunern geborgten Pferde und reiten vor dem Zuge her, hinter diesen kommen die Kunden, zuerst die Schnallentreiber mit ihren Schicksen, dann die Kadetten von ganz Deutschland, und nach ihnen der Troß der übrigen Kunden und Schicksen. Da kann man Leute von allen Sorten finden.

Einer ist in ganz lumpigen Kleidern, oft ohne Schuh, der andere angezogen wie ein feiner Stutzer, alles läuft mit, was kann. Den Schluß des Zuges bilden einige hundert Bauern und Bauernmädchen. Es kommen viele Herrschaften von Nürnberg, Ansbach und noch von anderen Orten des Sonntags nach Spalt, um sich den Zug, sowie überhaupt den Saumarkt anzusehen. (...Dann Wirtschaften...) Dann wird gesungen und getrunken, bis die meisten der Kunden betrunken sind. Auch wird hier und dort ein bischen gerauft, bis die Gendarmerie dazu kommen und die Ruhestörer einsperrt. Es werden fast jeden Sonntag in Spalt während der Hopfenernte mehr denn 20 Kunden in den Turm gesperrt und des anderen Tags nach Roth geschafft, wo es dann 3 Tage wegen Ruhestörung gibt. Es geht jetzt viel ruhiger zu als früher, wo fast an jedem Sonntag ein paar Mann gestochen, oft sogar direkt totgestochen wurden. Die eigentlichen Krachmacher sind die, die auf dem lande bei den Bauern schaffen und des Sonntags nach Spalt zum Saumarkt kommen (...) Abends neun Uhr ist Feierabend und es herrscht dann die größte Ruhe. Die Straßen sind menschenleer; nur die Gendarmerie geht noch von einer Wirtschaft zur anderen, um diejenigen heimzutreiben oder zu arretieren, die noch nicht genug getrunken haben. Selbst die Spalter Bürger müssen um 9 Uhr zu Hause sein.

Die Hopfenernte dauert 3 bis 4 Wochen, und dann gehen die Kunden wieder auseinander, ein jeder in sein Revier, wo er bekannt ist. Nur wenige haben sich was gespart: die meisten müssen gleich wieder anfangen zu betteln. Es gehen auch viele Kunden und Schicksen,  wenn  die  Hopfenernte vorüber ist, zur Kartoffelernte. Die Bayern in die Münchener Gegend, die anderen nach Dietze(n)bach bei Frankfurt a.M., wo auch fast nur Bettler schaffen. Das ist aber auch die ganze Arbeit, die des Jahres über geschafft wird (...) So leben die meisten Bettler Jahr ein Jahr aus, bis sie alt werden und in einem Arbeitshause oder in einem Landarmenhause ihren Geist aushauchen. Sie führen ein wahres Hundeleben, sie kommen nie in ein Bett, immer schlafen sie auf Stroh oder auf den Bänken der Herbergen, und doch ist es ihnen lieber als arbeiten.


Quelle:
Karl Adolf Goldberg, Der Saumarkt in Spalt. In: Das Leben der fahrenden Leute. Aufzeichnungen eines Landstreichers über das Landstreicherei- und Bettlerwesen, gh. v. Dr. Wilmanns, in: Der Wanderer 1908, Nr. 4, S.109f und 1908, Nr. 5, S.129-134.  !!! Wir haben versucht, den Autor ausfindig zu machen, aber es ist uns nicht gelungen. Für Informationen über ihn währen wir dankbar. Sollten noch Rechte auf den Text bestehen bitten wir ebenfalls um Info. Schlimmstenfalls würden wir den Text wieder löschen. !!!

siehe: Heft Couplets & Lieder: „Weisst du Muaterl was i träumt hab’“: Hier! Lied: In aller Herrgottsfruh;


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