Das Lied der Arbeit.  
    
    
        
 
    
    
        1. Stimmt an das Lied der hohen Braut,  
    
    
        Die schon dem Menschen angetraut,  
    
    
        Eh’ er selbst Mensch ward noch.  
    
    
        Was sein ist auf dem Erdenrund  
    
    
        Entsprang aus diesem treuen Bund. -  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        2. Als er verthiert noch scheu und wild,  
    
    
        Durch schreckenvolles Urgefild  
    
    
        Und finst’re Wälder kroch,  
    
    
        Wer gab dem Arm die erste Wehr?  
    
    
        Die Arbeit war’s, noch roh wie er.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        3. Und als er Bogen, Pfeil und Spieß,  
    
    
        Und den Nomadenstab verließ,  
    
    
        Zu eig’nem Felde zog,  
    
    
        Wer schuf den segensreichen Pflug?  
    
    
        Die Arbeit, die nie schafft genug.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        4. Und als sein Drang nach Hab und Gut  
    
    
        Ihn trieb zur regellosen Fluth,  
    
    
        Der unbezwung’nen noch,  
    
    
        Wer stieß das erste Schiff vom Strand?  
    
    
        Der Arbeit ewig thät’ge Hand!  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        5. Als später der Familie Heerd  
    
    
        Sich zur Gemeind’, zur Stadt vermehrt,  
    
    
        Wer unter Sclavenjoch, -  
    
    
        Begann den Bau der ersten Stadt?  
    
    
        Das ist der Arbeit stolze That. -  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        6. Und als der Denkergeist schon nah’ 
 
    
    
        Die Geistesfreiheit dämmern sah’,  
    
    
        Welch’ Genius sandte doch  
    
    
        Der Menschheit das gedruckte Wort?  
    
    
        Die Arbeit war’s der Bildung Hort.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        7. Sie hat noch, was kaum Rom vollbracht,  
    
    
        Die Erde sich zum Knecht gemacht  
    
    
        Und Herrin ist sie noch.  
    
    
        So hoch ein Paß durch Gletscher führt,  
        
    
    
        So tief nach Erz ein Bergmann spürt.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        8. Sie ist’s, die Meere überwand,  
    
    
        Die alle Elemente spannt 
    
    
        In’s harte Eisenjoch.  
    
    
        Doch ihre Mutter war die Noth  
    
    
        Vergeßt nicht, mündig, ihr Gebot.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        9. Die Pyramide Cheops zeigt  
    
    
        Welch’ drückend’ Joch sie einst 
        gebeugt,  
    
    
        Die Arbeit brach es doch.  
    
    
        Drum hofft des Capitales Joch  
    
    
        Die freie Arbeit bricht es noch.  
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
    
        
 
    
    
        10. Und wie einst Galilei rief,  
    
    
        Als rings die Welt im Irrthum schlief:  
    
    
        „Und sie bewegt sich doch!“ 
 
    
    
        So ruft, „die Arbeit, sie erhält,  
    
    
        Die Arbeit, sie bewegt die Welt.“ 
 
    
    
        Die Arbeit hoch! 
    
 
    
        Geschichte / Kommentar: 
 
    
    
        
 
    
    
        „Das Lied der Arbeit“, das Josef Zapf 
        1868 schrieb und Josef Scheu als vierstimmigen Chorsatz vertonte, war 
        das am meisten verbreitete frühe österreichische 
        Arbeiterlied. Es wurde am 29. August des gleichen Jahres bei einer 
        Arbeiterversammlung beim Zobel in Fünfhaus zum ersten Mal 
        aufgeführt. Neunzig Sänger der neu gegründeten 
        Liedertafel des Arbeiterbildungsvereins Gumpendorf hatten das Lied 
        einstudiert, und die etwa 3.000 Besucher waren so ergriffen, dass sie 
        während des Gesangs aufstanden und das Lied stehend zu Ende 
        anhörten. Josef Scheu sagte später einmal: „Weil wir 
        nicht von der internationalen revolutionären Sozialdemokratie 
        sprechen durften, sangen wir: Hoch die Arbeit!“ Kautsky 
        bezeichnete es als „gesungene Kulturgeschichte“ und W. 
        Ellenbogen schrieb 1928 in „Oesterreichische 
        Arbeiterzeitung“:  
    
    
        
 
    
    
        „Es war ein unbeholfener und unvollkommener, 
        in seinem musikalischen Rhythmus sogar ganz und gar 
        unrevolutionärer Ausdruck des heißen revolutionären 
        Sehnens, des im Unterbewußtsein lebendigen revolutionären 
        Dranges der Arbeiterklasse. Nicht was das Lied sagte und sang, sondern 
        was es noch verbarg […] das war das Revolutionäre am Lied 
        der Arbeit […] so kindlich, so veraltet, so unrevolutionär 
        es anmutet, es ist das Symbol der kämpfenden Arbeiterschaft 
        Oesterreichs geblieben." 
 
    
    
        
 
    
    
        In der Londoner Ausgabe von 1889 wurde die 5. 
        Strophe weggelassen - vermutlich aus Platzgründen.  
    
    
        
 
    
    
        
 
    
    
        
 
    
    
        Quellen: 
 
    
    
        
 
    
    
        Lieder der Arbeiterbewegung im 19. Jh.
 
    
    
        Johann Most (erste Auflage vor 1873), S. 27; 
        Most’s Proletarier Ldb. 5, (Gustav Geilhof), 1875, S. 21; 
        Sozialdemokr. Ldb. 12. Aufl. London 1889, S. 65; Max Kegel’s 
        Sozialdemokr. Ldb., 1891, S. 9; Arbeiter-Liederbuch. 21. Auflage. 
        New-York 1894, S. 37; Max Kegel’s Sozialdemokr. Ldb, (8. Aufl.), 
        Stuttgart, 1897, S. 11; Schlüter, Arb-Ldb, Chicago 1906, S. 18;  
    
    
        
 
    
    
        Werner Hinze, Johann Most und sein Liederbuch. 
        Warum der Philosoph der Bombe Lieder schrieb und ein Liederbuch 
        herausgab, Zeitdokumente 1-3 des e.V. „Musik von unten“, 
        Hamburg 2005. Nr. 27, S. 63.  
    
    
        
 
    
    
        Heinrich Schoof, Österreichisches Proletarier 
        Liederbuch, 6. umgearb. Aufl. (100.-115. Tsd.) Jubiläumsausg., 
        1914 (Lammel BIbl. Nr. 235), Nr. 1, S. 9 (10 Str.); 7. umgearb. Aufl. 
        (116.-125. Tsd.) Jubiläumsausg., 1923 (Lasmmel Bibl. Nr. 235), Nr. 
        1, S. 3.  
    
    
        
 
    
    
        Die Liederbücher von Albrecht, dem 
        Reichbanner und den Falken 
    
    
        A19 = August Albrecht, Jugend-Liederbuch, Berlin, 
        1919, Nr. 22 
    
    
        A29 = August Albrecht, Jugend-Liederbuch, Berlin, 
        1929, Nr. 51 
    
    
        alle Hrsg. Verband der Arbeiterjugend-Verein 
        Deutschlands 
    
    
        
 
    
    
        Lammel/Andert, Und weil der Mensch ein mensch ist, 
        Dortmund 1986, Nr. 50, S. 80 (6 Str.: 1, 2, 5, 8, 9 u. 10)  
    
    
        
 
    
    
        Reinhard Dithmar, Arbeiterlieder 1844 bis 1945, 
        Berlin 1993.