Soldatenlied

Soldatenlieder handeln vom Leben und Erleben des Soldaten, teilweise auch nur von der Vorstellung wie dieses Leben und Erleben sein könnte oder gar sollte. Sie beziehen sich zu einem großen Teil auf Kriege oder kriegerische Handlungen und Phänomene, die damit im Zusammenhang stehen. Ein weiteres Charakteristikum formuliert 1973 Hanjost Lixfeld in dem „Handbuch des Volksliedes“. Danach spiegelt das Soldatenlied „die innere Auseinandersetzung des Menschen mit der außergewöhnlichen und im Vergleich zu anderen Berufen anormalen Situation wieder, und stellt eine der wesentlichen Äußerungsmöglichkeiten für den einzelnen wie für die breite Masse der von Krieg und Kriegsdienst Betroffenen dar“ (Lixfeld 1973). Inhaltlich kann das Soldatenlied unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. So kann es zu den historisch-politischen Liedern und den Arbeits- und Ständeliedern zugeordnet werden. (siehe unten)


Das Soldatenlied als Instrument der psychologischen Kriegsführung
„Die Bedeutung des gemeinsamen Singens für die Truppen wurde von militärischen Vorgesetzten schon früh erkannt und zum Teil auch genutzt“.1 über die körperliche und seelische Wirkung des Singens berichten auch Soldaten aufgrund einer Befragung des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg (DVA) im 1. Weltkrieg.2 So sieht einer z.B. einen großen Einfluss auf die moralische Verfassung der Truppe3 ein anderer meint, dass beim „Absingen gehobener vaterländischer Lieder die Begeisterung zum Vaterland wachse“.4 Letzterer meint ferner:

„Es wird da manche Sorge und Unzufriedenheit vergessen, manches Leid losgelöst, und innerlich geklärt gehen viele mit erleichterter Seele von der Stätte des Gesanges“.5

Der Erste Weltkrieg wurde begleitet von einer Massenproduktion von Liedblattdrucken und Liederbüchern. Diese noch nie da gewesene Liedpropaganda hatte System:

„Wie manchem Soldaten hat die Anstimmung des Kriegsliedes der ‘Wacht am Rhein’ eine wahre Herzensstärkung gebracht, und das Herz und dessen Stimmung ist ja alles im Gefechte. Die Kopfzahl macht es nicht, wohl aber die Begeisterung machte es, dass wir die Schlachten gewannen, und so möchte ich das deutsche Lied als Kriegsverbündeten für die Zukunft nicht unterschätzt wissen und ihnen, den Sängern, meinen Dank aussprechen für den Beistand, den mir die Sänger geleistet haben, indem sie den nationalen Gedanken oben getragen haben“.6

Das sagte kein geringerer als Reichskanzler Bismarck am 18. August 1893 in Kissingen. Ähnliches hören wir 24 Jahre später von Hindenburg. Am 19. August 1917 anlässlich einer Krieger-Gedenkfeier in Hameln sagte er:
„Das deutsche Lied hat sich immer als nationale Kraft offenbart und wird tröstend, helfend, stärkend, siegend seinen Zauber nie verlieren“.7


Das Soldatenlied als Hilfsmittel zur Selbstbehauptung und -therapie
Im Gegensatz zu den verordneten Liedern sagt und klagt der Soldat in den Liedern, die er „gewohnheitsmäßig, freiwillig und ohne äußere Einflussnahme“ (Elbers 1963) singt, „was ihn bewegt und was er sonst nicht selbst sagen kann und mag“ (Meier 1916). Das freiwillig gesungene Lied kann dazu führen, dass er so das Erlebte besser verarbeiten kann aber auch dazu, die innere Einstellung zum Krieg und zum soldatischen Selbstverständnis zu verändernt.  Insofern wurden nicht selten restriktive Maßnahmen ergriffen um dem Einhalt zu gebieten (Verbote und Bestrafung). Doch auch hier können propagandistische Lieder unterschiedliche Resultate erzielen.

Die Erzeugung eines Gemeinschaftsgefühls kann natürlich in unterschiedliche Richtungen ausschlagen. Während es Kriegstreibend wirken kann, kann es ebenso Kriegszersetzend sein. Darüber hinaus wird der Soldat mit so existenziellen Problemen konfrontiert, dass das Lied als Ventil dienen kann. In der Praxis geht das so weit, dass sich Liedtraditionen entwickelt haben, die z. B. bei einem traurigen, nachdenklichen Lied, wie „Ich hat’ einen Kameraden“, um der Trauer Herr zu werden, ein überschwänglich fröhliches Lied gesunden wird.

Die soldatische Gesangspraxis hat u.a. eine für uns an dieser Stelle wichtige Form aus Friedenszeiten übernommen. Um die Spannungen zu kompensieren, die aufgrund der psychischen Grenzsituation des Kriegsalltags entstanden sind, annähernd ertragen zu können, benutzten sie Kontraste. So berichtet z.B. John Meier vom ersten Weihnachtstag 1914, als ein Regiment unter dem Gesang von „Stille Nacht, heilige Nacht“ ins Gefecht ging und dieses Lied dann abgelöst wurde durch „Puppchen, du bist mein Augenstern“.8
Zynismus als Kompensationsmittel

So treffen auf makabere Weise die Ziele der herrschenden Kriegstreiber mit den kompensatorischen Mechanismen des einfachen Soldaten zusammen - zumindest solange bis das Maß des „Erträglichen“ noch nicht überschritten und die kollektive Angst vor autoritären Strukturen und Strafandrohungen nicht überwunden ist.


Der Wandel der Zeit
Das Gesicht des Soldaten hat sich im laufe der Zeit ebenso verändert wie die Waffentechnik. Den Landsknechten der frühen Neuzeit folgten die Söldnerheere des Absolutismus um dann von der allgemeinen Wehrpflicht seit dem 19. Jh. zur mehr automaten gesteuerten Waffentechnik zu gelangen. Während sich die Lieder der Landsknechte teilweise aufführlichst mit Schlachten und dem eigenen Standt beschäftigten. Dazu kommen dann die gesanglichen Erzählungen über die Kriegshelden und die organisatorischen Veränderungen durch Besingen der einzelnen Truppengattungen und später die Bewaffnung des Volkes von den Freikorps hin zu den paramilitärischen Gruppierungen der Weimarer Republik.

Insgesamt aber ist das Themenspektrum des Soldatenliedes über die Jahre hin außerordentlich umfangreich geworden. Den Fürsten oder Königen folgten die Helden unterschiedlicher Rangordnung und ihre Verehrung, dann kam das Vaterland mit seiner Umkehrung, der Geringschätzung der Feinde. Natürlich gab es die ganz normalen menschlichen Themen wie Heimat, Abschied, Heimweh, Liebe, Erotik, Sexualität, Mut, Spott, Zweifel, Hoffnungslosigkeit (Soldatenklagen), Verwundung und Tod.

Außerdem kommt das jeweilige Lied zur passenden Situation. Beim Marschieren braucht es andere Lieder, als bei der Arbeit im Lager oder beim Exerzieren.

Gesangsmaterial
Während es vor 1870 relativ wenig Soldatenliederbücher gab, kann man schon 1870/71 ein gezielten Einsatz feststellen. 1914 stellen wir eine erste Flut an Liederbüchern fest und zum Zweiten Weltkrieg hin konstatieren wir noch einmal einen Anstieg an der Liederbuchproduktion.


Abkürzungen:
EB = Erk/Böhme, Deutscher Liederhort, Leipzig 1898/1925.


1   Winfried Elbers, Das Soldatenlied als publizistische Erscheinung", Diss., Münster 1963, S. 9.
2   Elbers, a.a.O., S. 9., vgl. Anm. 8, S. 364.
3   DVA, Brief Nr. 51 vom 19.7.1915.
4   DVA, Brief Nr. 118 vom 23.3.1916.
5   ebd.
6   Elbers, a.a.O., S. 220, Anm. 15. Vgl. Felix Marquart, An die deutschen Sänger.
7   Elbers, a.a.O., Anm. 16, Auf einer Begrüßung durch die Sängerschaft Hamelns anlässlich der Krieger-Gedenkfeier - siehe Wilhelm Rodewald, Ein Wort Generalfeldmarschalls von Hindenburg für Deutschlands Sänger.
8   John Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde, Straßburg, 1916, S. 22.



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