Agitprop
 
In den 1920er Jahren machte die KPD aus den Begriffen „Agitation“ und „Propaganda“ ein Wort, das in der Kurzform eine spezielle Abteilung innerhalb des Führungsgremiums charakterisierte die für die politische Werbung der Partei zuständig war. Umgangssprachlich wurde „Agitprop“ in jener Phase allerdings zum Synonym für jene sogenannten „Proletarischen Bühnen“, die der Partei nahe standen. Diese Theatergruppen brachten eine Mischung aus sogenannten „Lebenden Bildern“, Sprechchor, Kabarett und Gesang. Ihr Durchbruch wird allgemein an dem Auftritt der Moskauer Gruppe „Blaue Blousen“ im Herbst 1927 in verschiedenen Städten Deutschlands festgemacht. In der Folge geben sich einige „proletarischen Bühnen“ den gleichen Namen oder nannten sich beispielsweise „Rote Blusen“, „Rote Raketen“, „Kolonne Links“ oder wie in Hamburg „Die Nieter“. Ihr Ansehen wuchs durch die Mitarbeit ausgebildeter Musiker wie Hanns Eisler oder Stefan Wolpe. Das Liedrepertoire war aufgrund der Anbindung an die KPD auch stark russisch beeinflusst.


Einführung
Eine Darstellung der Agitprop-Szene der 1920er/30er Jahre hat mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. So ist die überwiegende Literatur von DDR-Autoren geschrieben, die ausschließlich im Sinne der Partei gearbeitet haben. Das führte dazu, dass ein Teil der Informationen wegfiel oder umfangreich aus Archiven zusammengesucht werden muss. Die Darstellungen, die beispielsweise bei Inge Lammel zu finden sind, sind zu einem großen Teil eher eine Mischung aus Heldenverehrungen und Kriegsveteranenberichten. Der Informationsgehalt muss also erst herausgefiltert werden und ist wiederum nur durch Archivarbeit zu bestätigen oder zu überarbeiten. So findet man bei Lammel zum Beispielt „Erklärungen“ wie jene zu Futran, Eduard bei dem Lied „Elend und Hunger“ (S. 58f.) folgendermaßen:

„Der Komponist wird hier nicht mit vollem Namen genannt, da er der Sache der Arbeiterbewegung abtrünnig wurde. Gleiches gilt für die Lieder auf Seite 60, 81, 98, 102 und 159.“

Das heißt, der Name wurde nur mit E. F. angegeben. Eine solche Vorgehensweise in einem Archiv, lässt sich natürlich nicht mit „wissenschaftlich“ begründen, sondern nur mit parteipolitischer Auslese bzw. Tabuisierung oder Zensur. Die Lieder waren:

Elend und Hunger bedrücken uns schwer (Roter Raketenmarsch), S. 58f.
Aus ist’s mit den bösen Kriegen (Das Gaslied), S. 60f.
Horcht auf, horcht, Proleten, horcht auf! (Horcht auf, horcht, Proleten), S. 98f.
Ihr habt es gelitten und duldet es noch (Ihr habt es gelitten), S. 102f.
Bei den Liedern Nr. 81 („Wir wolln Soldaten sein“) und 159 („Sie haben das Wort erschlagen“) befindet sich allerdings kein dies bezüglicher Hinweis

Zwar auch kritisch zu betrachten, aber deutlich informativer ist die Dokumentation von Ludwig Hoffmann und Daniel Hoffmann/Ostwald. Dort werden immerhin ausführliche und umfangreiche Dokumente zur Verfügung gestellt. Natürlich befindet sich auch da der Wille der Partei dahinter.

Wir beginnen mit den einem Aufsatz, den uns Dr. Werner Hinze freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hat. Er stammt aus der Arbeit zu seiner Dissertation „Schalmeienklänge im Fackelschein“, die ausführlich mit der Agitationskultur des Roten Frontkämpferbundes auseinandersetzt und eine wichtige Lieddiskussion enthält. Die Arbeit, die sich in erster Linie mit dem Gau Wasserkante (so nannte der RFB den Bezirk), Nordwest (hauptsächlich Bremen) und den zentralen Vorgaben, sollte zwar noch umfangreicher überarbeitet werden, wozu er aber aus Zeitgründen bislang nicht gekommen war.

Es folgt eine Darstellung der Hamburger Agitprop-Truppe „Die Nieter“ und danach dokumentieren wir die Agitproptruppen, wie sie von Inge Lammel beschrieben werden, reduziert auf eine Rest, der uns einige Basisinformationen zur Verfügung stellt, mit denen man weiter arbeiten kann.


Die Nieter
Von der Proletarischen Bühne zur proletkultischen Avantgarde
Sonderbarer Weise werden die Nieter, die zeitweise die bekannteste und erfolgreichste Agitprop-Truppe war, bei Inge Lammel nicht einmal erwähnt. Auch Daniel Hoffmann-Ostwald und Ursula Behse (1960) ignorieren sie weitgehend. Möglicherweise hängt das mit der Einschätzung in Ludwig Hoffmann aus dem Jahr 1961 zusammen, der Käbnick vorwarf in die Nähe „sektiererischer Auffassungen“ geraten zu sein:

„Er stellte die neuen Formen der szenischen Agitation schematisch dem ‚alten’, d. h. bürgerlichen Theater gegenüber und bezeichnete sie als das ‚wirklich proletarische Theater’. Diese unkritische Übernahme der neuen Anregungen konnte zu einer Einengung der Inhalte, Formen und Methoden des Arbeitertheaters führen.
Ähnliche Tendenzen finden sich in Käbnicks Aufsatz: ‚Was fordert die proletarische Bühne vom proletarischen Bühnenschriftsteller?’ Der Aufsatz fasst den Inhalt eines Vortrages zusammen, den Hand Käbnick 1929 in einer Versammlung der Hamburger Ortsgruppe des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller1 hielt. Käbnick forderte die Schriftsteller auf, für das Arbeitertheater zu schreiben. Er wies darauf hin, daß die Spieltruppen unter anderen Bedingungen arbeiteten als das revolutionäre Berufstheater. Um die Bedürfnisse der Spieltruppen befriedigen zu können, müssen der proletarisch-revolutionäre Schriftsteller im ihnen in Verbindung treten und ihre Bedingungen kennenlernen. Allerdings schränkte Käbnick die Bedürfnisse der Spieltruppen auf die kleinen agitatorischen Formen ein. Er berücksichtigte nicht, daß im Repertoire des Arbeitertheaters auch das Stück einen wichtigen Platz einnehmen mußte.“2 

Etwas weiter dokumentiert Hoffmann das Beispiel der „Flugzeug-Nummer“ aus dem 2. Programm um ein Problem darzustellen, das seinen Vorstellung entsprechend zu „schematisch“ sei und zum Glück 1929 wieder bekämpft wurde – von wem, verschweigt er allerdings:

„Die ‚Flugzeug-Nummer’ aus dem Repertoire der ‚Nieter’ wurde ausgewählt, obwohl sie qualitativ weit unter dem Durchschnitt der Agitproptexte dieser Zeit steht und auch gegenüber anderen Texten der Truppe stark abfällt. Sie zeigt aber besonders kraß eine negative Tendenz im deutschen Arbeitertheater: Die „Flugzeug-Nummer“ ist ein deutliches Beispiel für politischen und künstlerischen Schematismus. Der Schluß der Szene ist dafür besonders charakteristisch. Briand, Stresemann und Chamberlain stiegen auf den Rücken einiger Truppenmitglieder und deuteten so ein Intervention gegen die Sowjetunion an. Dann erhoben sich die Truppenmitglieder, und die Aggressoren stürzten zu Boden. Damit war der imperialistische Krieg gegen die USSR beendet, und die ‚Nieter’ sangen ein Kampflied. Sie bauten, dem Beispiel der ‚Blauen Bluse’ folgend, aus ihren Leibern ein ‚rotes Flugzeug’.

Solche schematischen Lösungen differenzierter politischer Probleme hatten in der ersten Zeit der Agitproptruppen-Bewegung den Reiz der Neuartigkeit für sich. Sehr schnell nutzten sich diese Klischees aber ab. Sie verloren ihre agitatorische Wirkung und führten zu einer Erstarrung in der Arbeit vieler Truppen. 1929 setzte im deutschen Arbeitertheater der Kampf gegen derartige Schablonen ein.
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Verweise:  
Wir sind geboren, Taten zu vollbringen (Rote Flieger);  Schirrt die Rosse; Komm und sei mein Passagier;
„Hände weg von Sowjetrußland!“;
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Anmerkungen
1:   Der "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller" wurde 1929 gegründet. Er stand unter der Leitung von Johannes R. Becher. Organ des Bundes war die „Linkskurve".
2.   Ludwig Hoffmann / Daniel Hoffmann-Ostwald, Deutsches Arbeiter Theater 1918-1933, Berlin (DDR) 1961, „Die Nieter - Hamburg Flugzeug-Nummer / 1928", S. 257.
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