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Eduard Sõrmus

Julius Eduard Sõrmus (in Deutschland: Soermus; * 9. Juli 1878 in Luunja; † 16. August 1940 in Moskau) Der estnische Violinist studierte Geschichte und Philosophie in Tartu und Geige am Konservatorium Petersburg. Seit der Jahrhundertwende engagierte er sich für den Kommunismus und wurde als Der rote Geiger bekannt. Er war 1905 an der russischen Revolution beteiligt.

Seine Laufbahn als Violinist begann 1904. Nachdem er 1906 aus dem zaristischen Russland fliehen musste, unternahm er Konzertreisen durch Nordeuropa. Später studierte er in Berlin bei Henri Marteau und in Paris bei Lucien Capet. Seine musikalische Aktivität spielte sich hauptsächlich in Deutschland ab. In erster Linie beteiligte er sich in der Weimarer Republik an Veranstaltungen der KPD, der Internationalen Arbeiterhilfe und der Internationalen Roten Hilfe. In seinen Konzerten wurde er häufig von seiner Frau, der Pianistin Virginia Tschaikowski-Sõrmus begleitet. Auch wird 1932 die Pianistin Olga Scheitkowski in der kommunistischen Hamburger Volkszeitung (HVZ) vom 26.11. erwähnt, als die Zeitung berichtete, man hätte ihm „die Einreiseerlaubnis verweigert“.

Im September 1926 schrieb der Pfälzische Bote über Sõrmus:
„Unerhörtes wagt Soermus, er spricht vor jedem Stück zum Publikum und erklärt kurz den Inhalt. Mit seiner weichen sympathischen Stimme schildert er in kurzen Strichen Bach, Händel und Beethoven, die größten Komponisten Deutschlands und der Welt. Wie liebt er sie“ Wie schlicht macht er den Zuhörern die Begriffe „Allegro“, ‚Adagio’ usw. klar. Wie empfindet er Beethovens tiefes Leid, Paganinis dämonische Gewalt. So kommt es, daß seine Zuhörer – zum größten Teil Arbeiter und Mittelstand, die Unterdrückten, denen des Künstlers Liebe und Anteilnahme gehört – seine Musik verstehen. Sie, die selten oder nie in den Konzertsaal kommen, ahnen Bachs Größe, sie spüren die nie gestillte Friedenssehnsucht in Händels ‚Largo’ und Beethovens lebensbejahende Freude im ‚Menuett’ und im ‚Türkischen Marsch’ …“ (Zitiert nach Horst Benneckenstein, in: MuG, 1967, Heft 9, S. 584.)

Es gibt einige Geschichten über bzw. zu dem „Geiger der Revolution“. Leider fehlen meistens die Quellenangaben. So kann man bei Traude Ebert und heute bei Wikipedia lesen, dass Sõrmus am 1. Mai 1923 im Kristall-Palast Magdeburg „von der Polizei verhaftet“ wurde, „weil die Behörden aufgrund seiner politischen Betätigung das Visum annulliert hatten“. Dabei soll „seine wertvolle Vitaszek-Geige zerstört“ worden sein. Und um die Geschichte komplett zu machen, hätten „Schüler und Lehrer des Leipziger Konservatoriums“ ihm „eine neue kostbare Violine“ gespendet. Nun, wenn die wirklich „kostbar“ war, fragt man sich natürlich, wo kam das Geld tatsächlich her? Es soll auch noch 1975 am Kristall-Palast eine Gedenktafel angebrachte worden sein.

In Hamburg führte sein Ansehen, dazu, dass sich 1926 ein Streichorchester bildete, dem sie den Namen „Arbeiter-Musikvereinigung ‚Soermus’“ gaben. Zum einjährigen Jubiläum schrieb die HVZ am Montag, den 18. Juli 1927:  

Achtung, Arbeitermusikanten!
Arbeiter, Angestellte, Klassengenossen!
Ein Jahr ist bereits ins Land gegangen, seidem sich das aus revolutionären Arbeitern zusammengesetzte Streichorchester, die Arbeiter-Musikvereinigung „Soermus“ gebildet hat. Bisher waren es nur wenige Genossen, die ihr ganzes Können in den Dienst der Bewegung stellten, doch jetzt ist es an der Zeit, auch die Öffentlichkeit zu interessieren. „Soermus!“ Wer kennt nicht den roten Geiger. Viele Zehntausende Arbeiter hatten das Glück, in den Genuß eines Konzertes zu kommen, wo unser roter Geiger mit sicherer Hand fesselnde Töne zu meistern verstand. Alle, die ihn kennen, wissen, daß er ein Meister der Geige ist. Wem klingt nicht das Stöhnen vom Wolgaufer in den Ohren? Alles das hat der Meister den Arbeitern und Klassengenossen die tagsüber schwer arbeiten müssen, auf seiner Geige hervorgezaubert. Auch wir wenigen Genossen, die den festen Entschluß gesetzt haben, durch Musik dem ermüdeten Arbeiter ein paar schöne Stunden zu bereiten, wissen, welchen Weg uns unser Meister Soermus durch sein Spielen gezeigt hat.

Wir fordern, da allein zu schwach, alle Arbeiter und Genossen, die irgendein Streichinstrument oder Flöte, Posaune, Trompete, Klavier, Klarinette usw. spielen können, auf, sich uns anzuschließen. Gemeinsames Wirken wird erfreuliche Arbeit zutage fördern! Wir wollen den Proletarier über schwere Stunden hinweghelfen. Doch auch zum Kampf werden wir es durch die Musik anfeuern. Darum ersuchen wir nochmals alle Interessierten, die geneigt sind, unsere Sache zu unterstützen, sich in den untenstehenden Lokalen zu melden. Übungsabende: Mittwoch 20 Uhr bei Riesler, Hamburg, Feldstr. 49; Donnerstags 20 Uhr und Sonntags 11 Uhr bei Banke Hamburg Kohlhöfen 23.

Von 1926 bis 1930 war die Musikvereinigung an vielen Veranstatlungen der KPD und seiner Vorfeldorganisationen beteiliegt. Eine Meldung in der HVZ vom 18.2.1930 deutet darauf hin, dass das Orchester aufgrund mangelnder Mitspieler seine Aktivität einstellen musste. Dort heißt es „Achtung, Musikfreunde! Das Streichorchester ‚Soermus’ benötigt noch einige Musiker (innen) mit Notenkentnissen. Anmeldung bei Willi Bauke, Kohlhöfen 28.“

Sõrmus’ besonderes Engagement galt Kindern und Kinderheimen, z. B.  in Elgersburg und Worpswede. In Hamburg wurde, nachdem er die Hansestadt des Öfteren besucht hatte, in seinem Namen nicht nur ein Orchester gegründet.

Ein Beispiel aus Hamburg zeigt auch hier die Auswirkungen des Geigers. Am 20. Oktober 1928 heißt es in der  HVZ: 

„Arbeiter Streichorchester ‚Soermus’“
Die kleinen Kinder dürfen nicht hungern“, sagte der Genosse Soermus, der „rote Geiger“, als er in Hamburg spielte. „Solidarität“ ist die praktische Waffe der Arbeiterschaft im Kampfe gegen den Kapitalismus. So hat der Genosse Soermus die Last auf sich geladen, 200 Kinder, denen der Ernährer geraubt ist, durch sein Spielen zu erheitern. Er appellierte besonders an die Arbeiterklasse, ihre Pflicht zu tun und das Los der Mütter im Haus und der Klassenkämpfer hinter den Gefängnis- und Zuchthausmauern zu erleichtern. Jeder Arbeiter und refolutionäre Kämpfer sollte sich diese Worte zu Herzen nehmen und danach handeln.

Die Sorge des gefangen gehaltenen Familienvaters wird nicht so schwer sein, wenn er weiß, daß seine Genossen und Mitkämpfer, die noch die Freiheit genießen, seine Angehörigen nicht verlassen. So fand am Montag, den 10. Oktober, im Holsteinischen Haus“ ein Konzert zugunsten der Witwen und der Kinder des bei den Geesthachter Wahlen erschossenen Mitgliedes der Roten Marine Heinrich Rüssel statt.“ [In der HVZ stand tatsächlich „Wirwen“ im Plural]

(Die hier angesprochene Auseinandersetzung in Geesthacht fand am Sonntag, den 30.9.1928 zwischen dem Roten Frontkämpferbund und dem sozialdemokratisch geprägten Reichsbanner statt. Es bag dort zwei Tor und über 200 teilweise schwer Verletzte. – Siehe dazu: Werner Hinze, Bluttage]

Am 17. und 21. Februar 1929 gab Sõrmus zwei Konzerte zugunsten der Kinderheime der RHD (HVZ vom 24.1.1929, S. 3). Und nach der Aktivität des „Streichorchesters ‚Sõrmus’“ entstand ab ca. August 1931 ein Streichorchester „Jung-Sõrmus“ für Kinder und Jugendlichen aus dem Umfeld des „Verbandes proletarischer Feidenker Bezirk Wasserkante-Nordwest“. Veranstaltungen der Gruppe sind bis November 1932 in der HVZ dokumentiert.

Eine Aufnahme von Sõrmus („Unsterbliche Opfer“ aus dem Jahr 1918 befindet sich auf der CD: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit. Arbeitermusik der Weimarer Republik in Originalaufnahmen. PLÄNE 88775, LC 0972.


Literatur:
Traude Ebert, Das Verhältnis der Arbeiterklassen zur Instrumentalmusik, dargestellt bis zum Jahre 1933. Dissertation / zur Erlangung des akademischen Grades doctor philosophiae (Dr. phil.) von Dipl.-Phil. Traude Ebert., Berlin 1971
Inge Lammel, Arbeitermusikkultur in Deutschland 1844-1945, Leipzig 1984,
Werner Hinze, Bluttage. Ein Beitrag zur „Wahrheitsfindung“ oder Vom „Hamburg-Aufstand“ der KPD zum „Altonaer Blutsonntag“, Hamburg und Rom 2013.


Ein Zwischenfall, der noch zu klären ist: