Mandoline (3)
Zur Frage der spezifischen Art
und Qualität proletarischer Musik meinte Paul Zumbusch, die Musik der Arbeiter habe „die
Ausdrucksformen der bürgerlichen Gesellschaft
zu überwinden und Ausdrucksformen für die
neue Gesellschaft zu finden“; sie verlange
den „kraftvollen Rhythmus der Zukunft, nicht
aber den romantisch einschläfernden der
Vergangenheit“.
Anm.: 110: Paul Zumbusch, Die
Mandolinenmusik und der Sozialismus, in: Freier
Zupfer, 8. Jahrgang, 15. Juni 1930, Nr. 6, S. 2-3,
hier nach Henke, S. 95.
Als ein positives Beispiel
führte er die Musik an, die Edmund Meisel
(1894-1930), zum Film vom „Panzerkreuzer Potemkin“ geschrieben hatte. Darin sei der
anzustrebende „proletarische Rhythmus“,
am besten erreicht worden. Dazu meint Henke,
„der junge Komponist“ habe „eine
musikslische Ausdrucksweise gefunden, die mit
eindringlichen Marschrhythmen, ostinaten
Baßführungen und ihrem Moll-Charakter an
den Stil der ‚Neuen Sachlichkeit’
gemahnte“. Des Weiteren führte er Hanns
Eislers Kampflieder und Arbeiterchöre an. Das
Problem des DAMB war allerdings, dass sich kein
Komponist fand, der diesen Kriterien gerecht wurde
und eine „proletarische“ Musik für
ein „sozialistisches“
Mandolinenorchesterrepertoires schreiben konnte.
Die möglichen, in Frage kommenden
Künstler wie Eisler, Antheil, Wolpe oder Vogel
hatten offensichtlich kein ausreichesndes Interesse
an den Mandolinenorchestern.
Auch Meisels Anfang 1925
uraufgeührten „Revolutions-Sinfonie“ für Großes Orchester,
Einzelsprecher und Chor könnte beispielhaft
sein. Sie war klar strukturiert und an eine
konkrete Situation gebunden.
„Der 1. Teil: Der Eingang. Schildert die gedrückte Stimmung
des Proletariers, die harte Arbeit beim
Maschinengang, den erbitterten Kampf ums Brot,
verzweifelte Hilferufe, Zusammenbruch ohne
Hoffnung, die Zukunft ohne Schimmer von Freude.
Teil 2: Kampf und Hoffnung. Der Kampf um die Erlangung des Ideals,
eines menschenwürdigen Lebens, Hoffnung auf
Freiheit aller Brüder.
Teil 3: Die Gefangenen.
Schildert den seiner Überzeugung bis zum
letzten Aremzug Treubleibenden (es erscheinen die
Themen von Liebknecht und Rosa Luxemburg), die
für ihre Überzeugung Eingekerkerten
– Amnestie – Befreiung.
Teil 4: Der Sieg. Unter
den fanatischen Prometheus-Rufen des Sprechchors:
„O Mensch, hilf dir doch selbst“ endet
die Sinfonie nach dem Erscheinen sämtlicher
bisher dagewesener Themen in dem brausenden Sang
der ‚Internationalen’.“ (Zitiert
nach Lammel 1984, S. 195.)
Aus dem Verband heraus
entstanden unter anderem die folgenden Werke, die
der „Freie Zupfer“ in die Rubrik
„Tendenzmusik“ einordnete:
Willy Fahr, von Beruf Teppichweber und DAMB-Bezirksdirigent in Berlin, komponierte 1930 die symphonische
Dichtung „Im
Osten geht die Sonne auf’ op. 20“ für Großes
Volksorchester, ein durch Bläser und Chor
verstärktes Zupf-Orchester. Sie mündet
ähnlich wie Meisels „Revolutions-Symphonie“ „in einen ekstatischen
Schlußteil, in dem ein Ensemble aus
Männerstimmen, überhöht durch das
volltönende Tutti der Instrumentalisten, die
im Osten aufgehende Sonne lobpreist, als Symbol
für die Freiheit aller Menschen“.
(Henke, S. 96; Lammel 1984, S. 189).
A. Blößl
erwähnt in seinem Aufsatz
„Kritische Betrachtungen“ noch die
folgenden Werke:
Willy Fahrs schrieb außerdem den „Hungermarsch“,
G. Buchholz: „Wenn
wir marschieren“
Kok: „Maifantasie“
Karl Schau: „Festmarsch“. (Der Marsch endete mit dem
Gesang „Brüder, zur Sonne, zur
Freiheit“
Anm.: (A. Blößl,
Kritische Betrachtungen, in: Freier Zupfer, 10.
Jahrgang, 15. Oktober 1932, Nr. 10, S. 1-2. nach
Henke, S. 96 und Ebert 1971, S. 151.
Weitere „Tendenzmusik“ erschien im Berliner „Verlag für Arbeiterkultur“ wie z. B. Walter Melzers
„Rote Signale“. (ein Potpourri russischer
Kampflieder) oder von der „Kampfgemeinschaft
der Arbeitermusiker“, dort beispielweise der
Marsch „Rote
Sportler“ von Erich Werner. (Lammel 1984, S. 190-191)
Auch der zwischen den
Verbänden lavierende Konrad Wölki gab mit seiner sinfonischen Dichtung
„Die
Unterdrückten, op. 11“ aus dem Jahr 1929 seinen
Teil zur „Tendenzmusik“ dazu.
Henke gibt zu den Beispielen
der „Tendenzmusik“ zu bedenken, egal
„ob bürgerlich oder proletarisch, die
genannten „Tendenzwerke“ glichen sich
in einem wesentlichen Punkt, sie waren nicht revolutionär,
„links“ oder innovatorisch in Bezug auf das musikalische
Material oder die Aufbereitung desselben“
(Henke, S. 96). Lediglich der Text ging in die
Revolutionäre Richtung (was immer das aber
auch ganau sein kann).
Allerdings kämpften die
DAMG-Mitglieder um die Aufhebung ihrer
musikalischen Efizite, zu denen sie im
„Freien Zupfer“ selbstkritisch Stellung
nahmen. So äußerte sich etwa
Willy Reichert meint 1932 in
seinem Essay „Programmrevolution“ dazu:
„Wenn wir nun aber von
proletarischer Tendenz reden, so meinen wir immer
den Kampf gegen die Knechtschaft. Diese Tendenz ist
aber durch die absolute Musik sehr schwer
auszudrücken und im Gegensatz zur Musik der
Kirche und des Imperialismus eine bestimmte Form
dazu schwer zu finden. Stoff ist vorhanden; aber
denselben so zu verarbeiten, daß er als Musik
vom Ausführenden und in erhöhtem
Maße vom Hörer verstanden wird, ist nu
in wenigen Fällen gelungen. Und das auch nur
in Verbindung von erläuterndem und
beschreibendem Text. Man kann bei dieser Musik eine
Stimmung schildern (Lyrik) oder eine Handlung
aufzeichnen (Dramatik). Es genügt nicht,
daß man etwa als Überschrift setzt:
‚Maifantasie’,
‚Zukunftstraum’,
‚Revolution’ oder das
‚Elend’. Man muß auch
tatsächlich das Empfinden haben, das ist
Kampf. Man muß den Hunger und das Elend
hören. Ein Werk betitelt
‚Revolution’ könnte folgende
Themen haben: 1. Das Stöhnen der
Unterdrückten; 2. Das Aufbegehren; 3. Der
Aufruhr; 4. Das siegreiche Ende. Das wäre aber
nichts Neues, sondern die Sonatenform. Etwas
Besseres als die Sonatenform haben wir aber bis
jetzt noch nicht. Und jede dieser angeführten
vier Stimmungen in Musik zu schildern, dazu
gehört, daß man dasselbe in sich
fühlt. Das kann aber kein Komponist, welcher
der Arbeiterklasse fernsteht. Dazu gehört
jahrelange Entwicklung (…).“
(Willy Reichert,
Programmrevolution, in: Freier Zupfer, 10.
Jahrgang, 15. Juni 1932, Nr. 6, S. 2; zitiert nach
Henke, S. 96f.)