Lobeshymnen zu:
Johann Most und sein Liederbuch
Jürgen Brehme, in Folker 4.06
Er erfüllt sich einen lang gehegten Wunsch
mit diesem Werk und lieferte uns eine kleine Offenbarung. Würde
man ihn heute einen politischen Liedermacher nennen, den radikalen
Sozialisten des 19. Jahrhunderts, den Johann Most? Den heute keiner
mehr kennt, obwohl sein Neuestes Proletarier-Liederbuch 1873 ziemlich
am Anfang einer liedreichen Zeit der sozialen Kämpfe in
Deutschland stand. Most hat für seinen Zweck, wie damals
üblich, hemmungslos Dichter, Komponisten und Traditionen
geplündert, um sich und seinen Mitstreitern agitatorische und
verbündende Stimme zu geben. Eindeutig ging es vor allem um
(klassen)kämpferischen Inhalt - ein Liederbuch voller Lieder,
deren Melodien oft noch bekannt sind, die heute aber kaum noch einer
(so) singen würde.
Dabei entführt uns die Liedsammlung in die
geistige Welt der beginnenden Sozialdemokratie, der Sozialistengesetze
und der proletarischen Internationale, also in unsere Geschichte. Hinze
hat dazu anschaulich aus dem bewegten Leben des frühen
Sozialdemokraten erzählt, die Lieder den Zeiten und Ereignissen
zugeordnet. Bei der angefügten Liedanalyse und den Anmerkungen
beeindruckt, wie detailgetreu und sorgfältig mit Quellen
umgegangen und sinnvolle Verbindungen eingegangen werden. Ein
Liederbuch für die Bildung, beim Liederlesen kam mir, als
gelerntem Arbeiterliedsänger (ja,ja, DDR-Vergangenheit), schon
manchmal die Versuchung, den schmetternden Texten Melodie zu geben.
Trotz alledem - der Staat ist in Gefahr.
Frank Effenberger, in Likedeeler
Alle Räder stehen still, wenn dein starker
Arm es will.
John Most's Liederbuch erinnert an die Kraft einer
organisierten Arbeiterschaft
Ende 2005 wurde im Verlag "Tonsplitter"
Johann Mosts "Neuestes Proletarier-Lieder-Buch" aus dem Jahr
1873 wiederaufgelegt. Mosts Liederbuch gehörte mit zu den ersten
deutschsprachigen Arbeiterliederbüchern, die herausgegeben wurden.
Nicht lange nach dem Erscheinen vermeldete der Österreichische
Staatsanzeiger, dass die Liedersammlung und alle weiteren Texte Mosts
verboten seien.
Werner Hinze, der Herausgeber der Neuauflage,
beschreibt Most als einen der beliebtesten und aktivsten Agitatoren der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Mit zahlreichen Zitaten aus Mosts
Memoiren dokumentiert Hinze den beißenden Humor des Agitators. So
berichtet Most von seiner ersten Bekanntschaft mit dem damals noch
recht zahmen Arbeiterbildungsverein u.a. so: "Man hörte
fortwährend von der 'lieben Heimath, in der es schön' sein
sollte, von einem Brunnen vor dem Thore', von der 'heiligen Nacht', vom
'lieben Gott', der 'durch den Wald' geht und ähnlichen
Schnickschnack dermassen gröhlen, dass man leicht begreifen
konnte, warum und wieso sich die Vereine gegen Thierquälerei rapid
vermehrten." Kraft seiner Ideen, Worte und Schriften versuchte
Most dem Verein einen kämpferischen Charakter zu geben.
Kundgebungen und Aktionen in kleinen Städten mit hunderten
Teilnehmern zeugen von seiner Fähigkeit dazu und auch wenn man
heute seine Texte liest, kann man sich von seiner Wut auf die
Ungerechtigkeiten noch anstecken lassen. 1870 wurde er im Wiener
Hochverratsprozess zu einer Haftstrafe verurteilt. Während dieser
Zeit dichtet er verschiedene Zeilen, die ebenfalls im Buch abgedruckt
wurden. Most war dann ab 1871 in der von Wilhelm Liebknecht und August
Bebel 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
tätig. Mit der Zeit nahm er immer stärker anarchistische
Positionen an, so dass er beim Parteikongress im Schloss Wyden 1880 aus
der Partei ausgeschlossen wurde. Leider reißt im Vortext des
Buches der rote Faden durch eine etwas sprunghafte Gliederung manchmal
ab. Die biographischen Notizen zu Johann Most, der kurze Abriss der
ersten Arbeiterliederbücher und die Anmerkungen zum dokumentierten
Liederbuch sind verteilt über zwei Kapitel. Es folgt ein sehr
amüsant zu lesendes Kapitel zur Nutzung des Liedgutes bei einer
politischen Aktion dem sich eine stark gegliederte Abhandlung des oft
bei den Liedern genutzten Parodieverfahrens anschließt.
Dokumentiert wird schließlich die dritte
Auflage des Liederbuches aus dem Jahre 1873, ergänzt durch einige
Lieder aus der fünften Auflage. Im eigentlichen Liederbuch stammt
nur ein Lied direkt von Most: "Die Arbeitsmänner". Das
Lied war laut Werner Hinze so etwas wie die Hymne der damaligen
Sozialdemokraten. Darin hieß es in der vierten Strophe:
"Rafft Eure Kraft zusammen,
Und schwört zur Fahne roth!
Kämpft muthig für die Freiheit!
Erkämpft Euch bess'res Brod!
Beschleunigt der Despoten fall!
Schafft Frieden dann dem Weltenall!
Zum Kampf, ihr Arbeitsmänner,
auf, Proletariat."
Dieser Pathos ist uns heute sicher fremd. In der
damaligen Zeit waren es jedoch nicht nur Worte, sondern es war Ausdruck
des Kampfeswillens, dem wir heute zum Beispiel den Acht-Stundentag und
andere soziale Errungenschaften zu verdanken haben. Insgesamt ist das
Lied ein Beispiel für die vielen identitätsstiftenden Texte
der gesammelten Lieder, in denen die Arbeit der Proletarier, ihre
Kleidung und ihr Stolz auf Beides zum einen und zum anderen die
Ausbeutung der Klasse und der Widerstand dagegen besungen werden. Neben
den Forderungen nach Brot taucht auch immer wieder die Forderung nach
Freiheit auf. Nicht im bürgerlichen Sinne, bei der die
individuelle Freiheit unter Ausblendung sozialer Fesseln gemeint ist.
Auch heute noch relevant erscheint mir da vor allem das Lied
"Frisch auf, Cameraden!" (siehe Kasten)
Der ausschließliche Bezug auf Männer in
den gesammelten Arbeiterliedern ist heute zumindest bei sozial
engagierten Menschen sicherlich nicht mehrheitsfähig, war aber im
damaligen Gesellschaftskontext normal. Hierfür stehen auch die
bekannteren Zeilen aus Strophe 10 des "Arbeiterliedes":
"Mann der Arbeit aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will."
Im Vortext wird immerhin der
"Arbeiterinnen-Weckruf" dokumentiert. Hier ist ein
früher Emanzipationswillen zu spüren:
"Nicht nur das Haus sei Eure Welt,
Der Kochtopf nicht Euer Feld.
Am öffentlichen Leben Ihr
Sollt Euch betheil'gen für und für.
Brecht eine Bahn dem freien Geist;
Er ist's, der alle Fesseln reißt.
Auf, stellt für Freiheit,
Gleichheit Euch zum Kampf",
der in der letzten Strophe mündet, sich an
die Seite der Männer zu stellen und mit ihnen gemeinsam zu
kämpfen. Damit sicherlich noch nicht das i-Tüpfelchen in der
bis heute nicht existierenden Gleichberechtigung, aber immerhin ein
Beginn. Von den 55 Liedern des Liederbuches sind einige 1998 aus Anlass
der 1848er Revolution in Deutschland von der Leipziger Folk Session
hervorragend vertont worden. So zum Beispiel das Lied "Ob wir
rote, gelbe Kragen", indem weniger die Zugehörigkeit zu einer
Klasse bewertet wird, als vielmehr der Wille zur Veränderung als
einendes Element in Erscheinung tritt. Oder "Trotz alledem"
(auch von Hannes Wader umgedichtet), in dem der Einfachheit und
Brüderlichkeit mehr Wert beigemessen wird als dem Rang und Titel.
Als sehr interessant erweist sich der Anhang des
Buches. In ihm werden die Lieder und ihre Dichter kurz besprochen. So
erfährt man beispielsweise vom Lied "Der Staat ist in
Gefahr", dass es damals bei "Lärm-Demos" gesungen
wurde. Von Harro Paul Harring, der das Völkerbundlied geschrieben
hat, dass er von radikalen Burschenschaften stark geprägt wurde.
Oder dass das "Lied der Arbeit" bei
seiner Uraufführung von 90 Sängern vor 3000 Besuchern
gesungen wurde...
Insgesamt lässt das Buch die Stärke und
den Bewusstseinsstand der damaligen Arbeiter erahnen und einige
Anregungen für heute bietet es sicherlich auch.