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Kisselhoff, S.
DAS JUEDISCHE VOLKSLIED.

Erschienen in: DIE JÜDISCHE GEMEINSCHAFT. Reden und Aufsätze über zeitgenössische Fragen des jüdischen Volkes,

herausgegeben von Dr. Ahron Eliasberg
Berlin. Jüdischer Verlag, 1913, 22 S.
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I. Aufschwung des nationalen Kulturlebens der Juden.
Eine mächtige Woge nationalen Empfindens steigt in den letzten Jahren im Leben des Judentums, wie sie seit langem nicht beobachtet worden und bringt eine Reihe längst vergessener oder doch unbeachtet gelassener Fragen jüdischer nationaler Kultur wiederum ans Tageslicht. Nationale Werte, die bisher keinerlei Beachtung fanden, an denen der gebildete Jude und der jüdische Gelehrte mit gleicher Geringschätzung vorbeigingen, sind nunmehr zum Gegenstand allseitigen Interesses und eingehenden Studiums geworden. Zu den am allerwenigsten erforschten und beleuchteten Problemen nationaljüdischer Kultur gehört auch die Frage der jüdischen Musik.


II. Musik als Nationalkunst.
Die Frage, ob es jemals jüdische Musik als nationale Volkskunst gegeben hat, ist bis zum heutigen Tage unentschieden. Die Musiktheoretiker, soweit sie das Vorhandensein nationaler Musik überhaupt anerkennen und „deutsche“, „russische“, „französische“, „orientalische“ Musik unterscheiden, behaupten übereinstimmend, eine „jüdische“ Musik gebe es nicht in der Welt.

Nun bietet aber allein das Volkslied die Grundlage zur Entwicklung des Kunstliedes, zur schaffensfreudigen persönlichen Betätigung des nationalen Komponisten. Diese Grundlage ist es, die nach dem übereinstimmenden Urteil der Musiktheoretiker dem jüdischen Volke fehlen soll.

Unsere Aufgabe ist es daher, den Beweis zu führen und zu liefern, dass das jüdische Volksgenie auf dem Gebiete der Musik unerschöpfliche Reichtümer geschaffen hat, die aber
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leider bisher so gut wie unerforscht geblieben sind. Kein Zweifel, dass auch das jüdische Volkslied, gleich dem deutschen, als Erzeugnis jahrhundertealter historischer Volkserlebnisse, vom Geiste seines Meisters getragen und beseelt ist. Wir wollen daher die Schätze musikalischer Schaffenskraft zu heben suchen, die in den Tiefen des Volkswesens schlummern.


III. Herkunft der Musik und älteste Musik bei den Juden
Die sagenhafte Ueberlieferung der alten Völker führt den Ursprung der Musik auf die Schöpfung göttlicher Wesen zurück. Göttlicher Herkunft ist die Musik, sie ist eine Gabe der Götter, welche in Sang und Spiel Lehrmeister der Menschen gewesen. Der Ursprung dieser Sagen ist in dem engen Verhältnis zwischen Religion und Musik, das überall und immer bestanden hat, leicht gefunden. Nicht nur in der Gegenwart, auch in der grauesten Vergangenheit werden religiöse Bräuche und Kulturzeremonien von Gesang oder von den Klängen der Musikinstrumente begleitet. Keine andere Kunstart erzeugt religiöse Stimmung und Empfindung in so hohem Grade, wie die Musik. Diese bringt den Menschen bis zum Zustand der Begeisterung, der Ekstase.

Auch bei den Juden wurden alle Kulturgebräuche und Tempelfeierlichkeiten von Liedergesang begleitet. Gott Zebaoth auf seinem Throne ist von einer Engelschar umringt. die Ihm Lobpreis singen. Unter Trompetengeschmetter verkündet Moses dem Volke die Gebote Gottes.

Diese engen Bande, die Musik mit Religion verknüpfen, werden wohl auch den Grund für die mythische Erklärung des göttlichen Ursprungs der Musik abgegeben haben.

Die Wissenschaft weist verschiedene Erklärungsversuche für die Entstehung der Musik auf. So sieht Lukretius in der ursprünglichen Musik des Menschen ein Nachahmen der Natur. Die Vögel mit ihren biegsamen Stimmen lehrten den Menschen singen; der Zephyrhauch im hohlen Uferrohre lehrte ihn auch der Schalmei spielen. Andere wiederum, so Plato, Taine und Herbert Spencer meinen, der Gesang sei nichts anderes, als eine Weiterentwicklung des Schreies,
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das Lied eine allmähliche Entwicklung der lautlichen Ausdrücke von Freud und Leid.

Professor Naumann weiht der Musik der Kinder Israels ein besonderes Kapitel seiner Musikgeschichte. Er behauptet hier, dass die Juden, die den Monotheismus, den Glauben an den alleinigen Gott geschaffen haben, ebenso wie die Griechen einen ausserordentlich grossen Einsluss auf die Entwicklung der Musik ausgeübt haben. Auf die älteste Musik der Juden, wie auch der anderen ursprünglichen Völker, lässt sich aus den Denkmälern der ältesten Zeit ein Rückschluss ziehen. Als Denkmäler dieser Art können Musikinstrumente, die bei Ausgrabungen gefunden wurden, dienen; Abbildungen dieser Instrumente auf Ruinen ältesten Ursprungs oder auf Münzen; endlich Beschreibungen der verschiedensten Erscheinungen musikalischer Volksbetätigung in den ältesten heiligen Schriften.

Auf den Ueberresten des Triumphbogens, der von den Römern Titus, dem Besieger des jüdischen Reiches, zu Ehren errichtet wurde, befinden sich neben dem Leuchter und den heiligen Geräten, die vom Sieger dem Tempel entnommen wurden, auch Abbildungen von Trompeten, anscheinend aus Messing, die vom Triumphator dem besiegten Volke geraubt wurden. Höchstwahrscheinlich sind es Signalhörner, die von den Juden im Kriege benutzt wurden. Einige Forscher glauben, dass die Abbildungen auf dem Titusbogen den „Schofar“ darstellen sollen. Doch ist diese Annahme falsch; die abgebildeten Trompeten sind nämlich von ganz gerader Form und haben keinerlei Aehnlichkeit mit dem gebogenen „Schofar“, das ein Widderhorn ist.

Der „Schofar“ ist eines der ältesten Musikinstrumente des jüdischen Volkes, was durch seine Verbreitung bei Juden der verschiedensten Länder bewiesen wird, sowie durch seine Erwähnung in alten Büchern. Auch zeugt von seinem grauen Alter, dass das Widderhorn verwendet worden ist: es muss aus der Zeit stammen, als die Juden noch das Nomadenleben eines Hirtenvolkes führten.

Nach der Bibelüberlieferung sind die Mauern von Jericho unter den Klängen des „Schofar“ gefallen. Die herzzerreissenden, langsam gedehnten Laute des „Schofar“
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erschallen alljährlich in der Synagoge an den „ionim norium“, den Tagen des Schreckens und der Gebete, zu Neujahr „rosch haschono“ und an dem Versöhnungstage „iom kippur“.

Auf den jüdischen Münzen aus dem Zeitalter Alexanders des Grossen, also mehr denn drei Jahrhunderte vor Christo, finden sich Abbildungen von Musikinstrumenten: auf der einen Seite die Leier, auf der anderen die Harfe. Diese Münzen beweisen allerdings am allerwenigstens die jüdische Herkunft der genannten Instrumente; wohl aber ihre Verbreitung bei den Juden. Wir werden es unterlassen, zahlreiche Zitate aus der Bibel anzuführen, die von einer bedeutenden Entwicklung der Musik, der vokalen, wie der instrumentalen bei den Juden in dem ältesten Zeitabschnitt zeugen. Man erinnere sich nur an Tubal Kain, dem die Bibel die Erfindung der Saiten- und Blasinstrumente „Kinor“ und „Ugab“ zuschreibt; an Miriam mit der Pauke; an den mächtigen, feierlichen Hymnus „Os ioschir“ nach dem Uebergange der Juden durch das Schilfmeer; an Moses, den Urheber der Tempelmusik, die er den Aegyptern entnahm; an Josua und die Eroberung Jerichos; an Barak und Demorah; die Tochter Jephtah’s; David, den Psalmensänger, der durch sein Lautenspiel die Sorgen Sauls zerstreute; an Salomo und den Liedersang im Tempel; an den Propheten Elisa u. a. m.


 
 
 
 
 
 
 
 
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