Der Vater unseres Dichters – denn einen
solchen haben wir vor uns! – Jakob Audorf der Aeltere war der
Sohn sehr armer Eltern und ist geboren 1807 zu Hamburg. Seine erste
Jugenderinnerung ist die an die Austreibung der Hamburger durch Davoust
im Winter 1813, traurige Vorgänge, die ja auch Semper, der
große Baumeister und Kunstschriftsteller, Erbauer der Dresdener
Barrikaden, mit erlebte als Knabe. Der ältere Audorf wurde Haartuchweber, ein damals
speziell in Hamburg blühendes Gewerbe, das jetzt fast
gänzlich von der Bildfläche verschunden ist. Er eignete sich
durch unablässiges eigenes Streben eine für seinen Stand
höchst achtenswerthe Summe von Kenntnissen an, so daß er
unter seinen Genossen als eine Art Weisere betrachtet wurde, den man in
schwierigen Fragen gern zu Rathe zog. Im „tollen“ Jahre
1848 – ein „Jubeljahr, die rothe Trennungslinie, welche
unser Jahrhundert literarisch theilt und Epoche macht,“ nennt es
Georg Brandes! – im Jahre 1848 war Audorf der Aeltere
glühender Demokrate und wurde in die Hamburger
„Konstituante“ gewählt, welche den Auftrag erhielt,
auf Grund der Frankfurter Grundrechte eine Verfassung für die
freie Stadt Hamburg zu schaffen. In der folgenden Reaktionszeit
sprachen in Audorf’s bescheidenem Heim eine Menge politischer
Flüchtlinge aus aller Herren Länder vor; unter ihnen auch Wilhelm Weitling, durch
dessen häufige Besuche und gesprächige Mittheilungen der
gastliche Wirth die kommunistischen Lehren der Cabet, Fourier,
Saint-Simon u.s.w. kennen lernte.
Von seinen Freunden ward nachmals Audorf nach
London gesandt, um mit Marx und anderen deutschen Flüchtlingen
Berathungen zu pflegen über eine etwaige norddeutsche Erhebung
gegen die brutale Reaktion. Die Verhandlungen verliefen natürlich
ohne Resultat, aber bei seiner Heimkehr wurde Audorf wegen
„kommunistischer Umtriebe“ in Anklagezustand versetzt und
zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Dadurch ward sein
kleines selbständiges Geschäft ruinirt und er hat sich
fernerhin mit seiner zahlreichen Familie mühsam genug durchs Leben
schlagen müssen. Aber stets nahm er eifrigen Antheil an allen
Bestrebungen, welche nur irgend eine Aussicht eröffneten auf
Befreiung des Proletariats; so schloß er sich auch der neuesten
Arbeiterbewegung mit Feuereifer an. Als Redner für dieselbe
ließ er sich vernehmen, aber auch kleine Versuche, seine
Bestrebungen mit der Feder zu fördern, hat er gemacht; auch
poetische Veranlagung ging ihm nicht ab, die in Gelegenheitsgedichten
fürs Haus oder für die gewerkschaftlichen Feste seiner
Kollegen zur Geltung kam.
Diesem Manne wurde am 1. August 1835 ein Sohn,
Jakob Audorf der Jüngere, unser Dichter, geboren. Derselbe
besuchte die Paßmann’sche Armenschule und durchlebte als
dreizehnjähriger Knabe das merkwürdige Jahr 1848,
natürlich mit einer durch den Einfluß des Vaters besonders
erweckten antheilname und mit geläutertem Verständniß.
Später ging er in die Lehre als Schlosser und Mechaniker oder
Maschinenbauer, und mußte am Schraubstock, an der Metall-Drehbank
und in der Schmiede fünf schwere Jahre durchmachen. Seine
Kenntnisse suchte er im Hamburger Bildungsverein, damals die Hochburg
der dortigen Demokratie, zu erweitern und ging 1857 im erbst mit drei
Thalern in der Tasche auf die Wanderschaft. Ein Jahr darauf finden wir
ihn in der Schweiz, wo er zwei Jahre lang dem deutschen Arbeiterverein
in Winterthur präsidirte und Ersprießliches leistete. 1859
entsandte man ihn als Delegirten nach Zürich zum Schillerfest, wo
Audorf die ungemein zündende Festrede hielt, auch den sonst nicht
unbekannten Dr. Fein, sowie zu seiner großen Freude Georg Herwegh kennen lernte.
Ebenso sah er dort einen „semmelblonden Jungen,“ de rihm
als Hans Blum, der „Student der unveräußerlichen
Menschenrechte“ – so lauteten dessen Visitenkarten ehemals!
– der so kleine Sohn eines großen Vaters! –
bezeichnet wurde.
Aus eigener Kraft hatte sich Audorf die
Kenntniß der französischen Sprache angeeignet, und so
wanderte er 1861 durch die Schweiz über Müllhausen nach
Paris. Ueber London nach Hamburg heimgekehrt, trat er in die damals,
1864, eben in Fluß gekommene Lassalle’sche Bewegung ein. Er
wurde nahc Leipzig delegirt, wo er unter Lassalle den Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein mitgründete und zum Mitglied des
Vorstandes gewählt wurde.
1864 wurde die erste Todtenfeier zu Ehren Lassalle’s gehalten, und Audorf verfasste bei dieser
Gelegenheit das Lied, mit welchem er sich in die Herzen der deutschen
Proletarier hineingesungen hat. „Dieses Lied wurde später
die deutsche Arbeiter-Marseillaise genannt,“ schreibt der bescheidene Mann. Und
in der That, nicht nur die Weise des Liedes, in die dasselbe
hineingesungen ist, begründet diese Bezeichnung; es ist wirklich
das Kern- und Parteilied der Sozialdemokraten Deutschlands geworden.
Obgleich Schreiber dieser Zeilen die sozialistische Literatur so
leidlich kennt und zwei Jahrzehnte lehrend und lernen, in Freud und
Leid mit den deutschen Arbeitern gelebt hat, - so weiß er keinen
Sang, der Audorf’s warm empfundene Strophen ersetzen könnte.
Wie oft haben schon unter den Klängen
derselben deutsche Arbeiterherzen hoffnungsfreudig höher
geschlagen, deutsche Arbeiteraugen kühner geleuchtet! Wie oft ist
der Schreiber dieser Zeilen selbst Zeuge davon gewesen, daß
Audorf wirklich ausgesprochen hat, was die armen, verfolgten,
bedrückten und doch so stolzen, zielbewussten Proletarier
fühlen! Den Lesern ist das Lied ja wohl bekannt. Nach dem Aufruf
an alle, die „Recht und Wahrheit achten,“ zum Kampf gegen
den tiefstgehaßten Feind, „den Unverstand der
Massen,“ lautet die dritte Strophe:
„Das freie Wahlrecht ist das Zeichen,
In dem wir siegen! – Nun wohlan!
Nicht predigen wir Haß den Reichen,
Nur gleiches Recht für Jedermann!
Die Lieb’ soll uns zusammenketten,
Wir strecken aus die Bruderhand!
Aus geist’ger Schmach das Vaterland,
Das Volk vom Elend zu erretten!
Nicht zählen wir den Feind,
Nicht die Gefahren all:
Der kühnen Bahn nur folgen wir,
Die uns geführt Lassall’! - -„
Diesem Lied kommt ohne Zweifel historische
Bedeutung zu. …
Die Gräfin Hatzfeld und die Prätendenten
der Nachfolgerschaft Lassalle’s sagten Audorf nicht zu, und aller
der folgenden Zwistigkeiten innerhalb der Arbeiterpartei müde,
ging er 1868 nach Rußland. Von dort rief ihn August
Geib nach Hamburg zurück in die
Redaktion des „Hamburg-Altonaer
Volksblattes.“ Die Most-Hasselmann’sche Richtung
und anderes trieben ihn aber wieder nach Moskau, indessen liquidirte
das Geschäft, in welchem er thätig war, und 1881 kehrte
er nach Hamburg heim, um – ausgewiesen zu werden.
Abermals in Moskau bis 1887 in verschiedenen wechselnden Stellungen, oft
recht unerfreulichen und wenig günstigen, lebend, war er von der
dortigen deutschen Kolonie mit scheelen Augen betrachtet, da seine Ausweisung
bekannt geworden war. Als Reisender für eine deutsche Fabrik, die
in Moskau ihre Niederlage hatte, lernte er Rußland vom
äußersten Süden bis zum Norden kennen; er sah Odessa,
Sewastopol, den Kaukasus, Baku, Tiflis, Wologda u.s.w., und lernte die
russische Sprache gründlich. Aber auch dieses Geschäft
liquidirte, und durch Vermittlung des deutschen Konsuls in Moskau wurde
die Ausweisung Audorf’s zurückgenommen. Er kehrte nach
Hamburg zurück, widmete sich von da ab nur journalistischer und
literarischer Thätigkeit und führt mit seinem Weibe, einer
National-Russin, ein glückliches Familienleben.
Audorf hat zweimal im Wahlkreise Lennep-Mettmann für
den Reichstag kandidirt, und einmal kam er in die Stichwahl, ohne zu
siegen. Die einzige Art von Volksliedern, welche beim Stande unserer
derzeitigen Verhältnisse möglich scheint, ist ihm
vortrefflich gelungen. Er hat aus den Empfindungen seiner Arbeits- und
Gesinnungsgenossen heraus „freiweg“ gesungen, was die
Arbeiterschaft Deutschlands bewegt. Seine Dichtungen sind für die
Seelenzustände seiner „Klasse“ wichtiger wie die
Ibseniden Hauptmann, Holz, Schlaf und Konsorten, weil seine Lieder auch
wirkliche Volkslieder sind. Doch haben natürlich die
mannigfaltigen bildungs- und Kunst-Elemente der deutschen, der
französischen und russischen Literatur, sowie Audorf’s
Reisen und Weltkenntniß auch Spuren in seinen Liedern
hinterlassen.
Am bekanntesten war im Volke der deutschen
Arbeiter nach der Arbeiter-Marseillaise das „Lied der Petroleure.“ Wer
kennte sie nicht, die nichtswürdige Versailler Fabel von den
Petroleusen der Pariser Kommune, welche Lissagaray und andere, nicht
ver“scherr“te, nicht reaktionär-professorale
Historiographen des „rothen Quartals“ überzeugend ins
Reich der Tendenzmythen verwiesen haben? Wer erinnerte sich nicht jenes
Prozesses aus den mittleren siebziger Jahren, bei dem Pariser
Großindustrielle überwiesen wurden, ihre Baulichkeiten mit
Petroleum getränkt und in Brand gesteckt zu haben, um – nun,
um die riesige Versicherungsprämie einzustreichen, weil die Schuld
der Brandstiftung auf Rechnung der „Petroleure der Kommune“
geschrieben werden sollte?
Und als Bebel im deutschen Reichstag jederlei
Verleumdung der Art gegen die Kommunards ablehnte, ja, da war das
Stichwort gegen die deutschen Sozialdemokraten gegeben: sie sind die Petroleure Deutschlands!
Zunächst freilich war das und ist das heute noch Zukunftsmusik,
die wahrscheinlich und hoffentlich nie aufgespielt werden wird! Ein
Wuthschrei aber ingrimmiger Entrüstung erscholl aus der Brust des
deutschen Proletariats – – – und doch wird heute noch
ihm hie und da diese verlogenste und brutalste aller Beleidigungen ins
Gesicht geschleudert.
Wie die niederländischen Geusen und
Käsebröter sich den Scheltnamen als Ehren- und Parteinamen
beilegten, mit derselben großartigen Ironie, - die aber gar
nichts mit der romantischen Ironie gemein hat! – nahm Audorf die
Herausforderung an, und soweit die deutsche Zunge sozialdemokratisch
klingt, ertönt sein Streit- und Zornlied:
Wir sind die Petroleure,
Das weiß ja Jedermann.
Der volksthümliche Leuchtstoff, der nach
Majoritätsbeschluß des Reichstags auch höherem Zoll
unterworfen ward, wird zum Symbol der politischen Aufklärung! In
diesem Sinne heißt es:
Schon brennt es in den Städten
So licht und frank und frei;
Man spürt, daß es von Nöthen
Auch auf den Dörfern sei …
Und sperrt der Bruder Staatsanwalt
Auch einmal einen ein,
Kriegt’s Petroleum (so!) mehr Gehalt
Und brennt noch ’mal so rein …
…Wir kümmern uns den Kukuk um
Die Liberalerei:
Das Wahlrecht und Petroleum
Ist unser Feldgeschrei!
Hier Petroleum, da Petroleum
Petroleum um und um,
Laßt die Humpen frisch voll pumpen:
Dreimal Hoch Petroleum!