Der Erste Weltkrieg (3)

Da sich die Stimmung und die Themen im Feld aufgrund der Kriegsentwicklung bereits verändert hatten, waren die Lieder für die Soldaten weder aktuell noch sonst irgendwie interessant. Sie bewirkten im Angesicht der neuen Situation eher das Gegenteil von dem, was ihre Urheber erreichen wollten. Wenn man im Schützengraben unter Beschuss liegt und Kameraden gestorben sind, ist kaum Platz für Hurrahgeschrei.

Diese Entwicklung wird auch durch die Verteilung der Soldatenliederbücher über die vier Kriegsjahre deutlich. Nach den geschilderten Anfangsschwierigkeiten in der Produktion schwoll die Anzahl der Liederbücher enorm an. Sie hatte aber ihren absoluten Höhepunkt bereits 1915 erreicht. In den folgenden Jahren sank die Zahl rapide. Ein Grund lag darin, dass die Dichter, Komponisten, Sammler, Herausgeber und Verleger mit der Kriegsentwicklung nicht Schritt halten konnten. Es machte sich auch nicht gut, dass spätere Auflagen der Soldatenliederbücher von 1914 und 1915 oft unverändert erschienen und „mit der Glut eines längst erloschenen Strohfeuers die Herzen der Soldaten“ (Elbers, S. 119). Man hatte offensichtlich gehofft, seinen Investitionen mehr Profit folgen zu lassen. In der Praxis bedeutete das, dass die Veränderungserscheinungen wie die Erstarrung der Fronten, das zermürbende Schützengrabenleben, Materialschlachten, Trommelfeuer, Verpflegungs- und Nachschubmangel, das Sinken der Kampfmoral usw. keine Auswirkungen auf die Liederbuchpublikationen und die propagandistische Liedproduktion hatte.

Einige der Liederbücher seien hier kurz erwähnt. Viele der Titel offenbaren uns bereits die Zielrichtung:

1914:
Neue Soldatenlieder und Kriegsgedichte, Berlin
Deutsches Kriegsliederbuch, Dresden
Deutsche Lieder, München
Singbüchlein für Soldaten, München
Gott mit uns, Stuttgart
Wohlauf, Kameraden, Heft 3 der Reihe: Kriegslieder fürs deutsche Volk mit Noten, Jena
Marschlieder für deutsche Krieger 1914/15, Liebenwerda

1915:
Morgen marschieren wir (Neue Folge von: Heimat, o Heimat), Lübeck
Deutsche Helden in deutschem Lied, Leipzig
Zehn neue Soldatenlieder, Cöthen in Anhalt
Deutsches Herz, verzage nicht, Cassel  
Deutsche Kriegs- und Wehrlieder aus tausend Jahren, Münster/Westf.
Eiserne Zeit, o. O.
Champagne-Lieder, Saarlouis 1915
Auf die Wunden deutscher Krieger, Pirmasens
Württembergisches Soldatenliederbuch, Ulm
40 schöne alte und neue Soldatenlieder, 3. Heft, Essen
Klabund, Das deutsche Soldatenlied wie es heute gesungen wird, München
John Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde

Ohne Jahresangabe:
Siegesklänge, Hamburg
Deutsche Lieder, Kriegserlebnisse und Kriegsgedichte, Hamburg
Neues Soldatenliederbuch, Reutlingen
Die große Zeit 1914, Solingen,
Feldnotizbuch mit Liederschatz, Hamburg
Unser Liederbuch, Berlin
Die deutschen Freiheitslieder an die Front, Hannover
Auf der Wacht, Leipzig

1917
Walter Hammer, Wie ein stolzer Adler. Die bekanntesten Lieder derer vom Inf.-Reg. 457, Elberfeld
Artur Kutscher, Das richtige Soldatenlied, Berlin


b) Das neue Soldatenlied aus dem Felde
Das deutsche Kriegsheer vom August 1914 setzte sich aus allen sozialen Gruppen und Bildungsschichten des Volkes zusammen. Beamte, Kaufleute, Handwerker, eine starke Gruppe von Bauern, eine große Zahl von Industriearbeitern und eine kleine Anzahl von geistig und sozial Höherstehenden. Zu ihnen kamen Scharen von Freiwilligen, die sich überwiegend aus Schülern und Studenten rekrutierten. Sie zeichneten sich - anders als der gewöhnliche Soldat - durch eine übermäßige Opferbereitschaft und Einsatzfreudigkeit aus. Später folgten auch ältere und schwächere Jahrgänge nach, zu denen sich nach kurzer Genesungspause notdürftig wieder hergestellte Verwundete gesellten. Besonders nach dem starken Aderlass des zweiten Kriegsjahres und dem zermürbenden Stellungskrieg im Westen führte das zu einem Sinken der körperlichen Durchschnittsverfassung und der Stimmung der Truppe.

Trotz wirksamer Einflüsse von Turn- und Gesangvereinsmitgliedern und vor allem von Vertretern der bündischen Jugend haben sich im deutschen Heer des Ersten Weltkriege nur wenige vaterländisch-kriegerische Lieder in „gehobenem Stil“ durchsetzen können (Elbers, S. 326f.). Lieder wie „Die Wacht am Rhein“, „Deutschland, Deutschland über alles“ und „O Deutschland, hoch in Ehren“ zählen hierbei zu den wenigen Ausnahmen der Vaterlandsgesänge, die im Krieg ihre eigentliche Wiederbelebung erfuhren und in das Liedleben der Mannschaften eingeschmolzen wurden.

Zu den traditionellen Volks- und Soldatenliedern gelangten neue Lieder und Melodien in das Repertoire der Soldaten gelangten. Mit dem hauptsächlich von Berlin ausgehenden Aufkommen der leichten Muse seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich nicht nur in den Straßen und Kaffeehäusern der Heimat, sondern auch im deutschen Weltkriegsheer trotz entgegenwirkender Bestrebungen Operettenschlager ungeheuer schnell. Ihre Komponisten waren u. a. Léhar, Oskar Strauß, Gilbert, Lincke und Kollo. Wie üblich waren auch hier in erster Linie die Melodien bekannt, auf die neue Texte geschrieben wurden. Oder in den Fällen, in denen Teile des Textes bekannt waren, wurden diese je nach Lage der Dinge ergänzt. In den Kompanien taten sich immer einzelne Hobbypoeten hervor, die fähig waren, einen entsprechenden Text zu verfassen und die für ihre Kameraden besondere Felderlebnisse oder Lebensverhältnisse nach einer bekannten Melodie zu einem neuen Lied formten konnten. Dieses wurde dann eine zeitlang im engsten Kreise gesungen, um schließlich vom nächsten zeitgemäßen Lied verdrängt zu werden. Die Zuordnung eines diesbezüglichen Textes zu einem der Soldaten ist dabei nicht immer leicht und manchmal gar unmöglich. Die Eintönigkeit und einseitigen Belastung an der Front steigerte das Unterhaltungsbedürfnis der Soldaten. Um sich abzulenken und das Dasein erträglicher zu gestalten, griffen sie begierig nach allem, was sich ihnen bot, um sich mental auf die Heimat einzustellen.

Die nun entstandenen Liedneudichtungen resultierten meistens aus einem Ereignisses an der Front. Je intensiver dieses Ereignis empfunden wurde, desto nachhaltiger wirkte das neue Lied auf die Kameraden. Es entwickelte sich ein neues Soldatenlied aus dem Felde heraus. Der jeweilige Dichter übernahm dabei, ohne sich dessen bewusst zu sein, „die Sprache der Kriegslieder, die er früher gehört oder gesungen hat“. So entwickelt sich eine eigenwillige Mischung aus Kunstdichtung und naiver Laienpoesie. Der jeweilige Liedpublizist wird, soweit seine Aussage ankam und die Mehrheit der Kameraden ihm zustimmten, „Künder der vorherrschenden Empfindungen und Gedanken“.

Hinweise zur Rolle der soldatischen Liedneudichtungen können den Antworten auf die Frage 10 der Erhebungen des Deutschen Volksliedarchivs entnommen werden. „Dann und wann dichten einzelne Gruppen irgendetwas zusammen, das dann wohl in der Kompagnie teilweise bekannt wird,“ heißt es beispielsweise in Kb 108 vom 30.3.1916. Oder „Neue Soldatenlieder haben keine lange Lebensdauer, immer werden alte Lieder mit Vorliebe gesungen.“ (Kb 166 vom 26.4.1916). Weiter können wir dort lesen, dass „Neugedichtete Lieder von Gebildeten ... wenig Anklang finden, da sie meist zu ernst gehalten sind. Solche von Ungebildeten dagegen werden fest gesungen, da meist humorvollen Inhalts.“ (Kb 236 vom 30.5.1916).




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