Die Mär vom „gestohlenen“ Liedgut (3)

Wer oder was ist der „Arbeiter“
Auffällig ist auch die teilweise Übernahme des Begriffs „Arbeiter“ als Propagandamittel der Weimarer Zeit. Die Agitation von KPD und RFB benutzt den Begriff im Sinne einer Gleichsetzung von „Arbeiter“ und „Kommunist“. Besonders bei Dithmars Lehrling heißt es beispielsweise „Auch die Sozialdemokratie stellte sich der Arbeiterbewegung entgegen“. Bei der KPD hieß es am 7. Juni 1929 in der Hamburger Volkszeitung (HVZ) von Slang z. B.: „Das nennt sich nun noch Sozialdemokrat und ist früher mal Arbeiter gewesen.“ Wenn dort positiv von einem Arbeiter gesprochen wurde, handelte es sich fast immer um einen Kommunisten, oder um eine Person, der sie vergleichbare ideologische Ziele unterstellen. Mit der häufig erwähnten „revolutionären Arbeiterbewegung“ handelt es sich um die KPD und ihre Umfeldorganisationen (aber revolutionäre klingt irgendwie immer gut, ohne dass Inhalte und Ziele angegeben werden müssen). Das sich die Nazis auch als „revolutionär“ titulierten, fällt gerne unter den Tisch oder wird als unverschämt empfunden.

Diese Fakten des politischen Kampfes in der Zeit der Weimarer Republik müssen natürlich auch in die sprachliche Analyse der entsprechenden Lieder einbezogen werden. Da die Lieder, überwiegend „Kampflieder“, hauptsächlich bei den paramilitärischen Kampfgruppen von besonderer Bedeutung waren, ist es sinnvoll, das auch verbal deutlich zu machen. Es ist also eine veränderte und teilweise erweiterte Kategorisierung nötig.

Wir haben es nach dem Ersten Weltkrieg einerseits mit Abspaltungen von der traditionellen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts zu tun, die sich feindlich gegenüberstanden und dabei einen Absolutheitsanspruch auf ihre Vorstellung einer neuen Gesellschaft durchsetzen wollten (häufig mit Waffengewalt). Die Sozialdemokratie hatte ihre Vorstellung anfänglich in weiten Teilen verwirklichen können und die Kommunisten nicht. Andererseits gab es die alten konservativen bis monarchistischen Kreise der alten Gesellschaft und es kam mit den Nationalsozialisten eine neue Kraft hinzu, die sich aus unterschiedlichen Vorstellungen rekrutierte, besonders stark vertreten waren aber antisemitische und völkische Vorstellungen. Der aktive Personenkreis bestand einerseits aus ehemaligen Soldaten (Frontkämpfer), führenden Offizieren der alten Armee und einer nicht geringen Anzahl Jugendlicher, die auf der politischen Bühne neu waren.

Die Wanderbewegungen hatten natürlich ihre Auswirkungen auf die Liedkultur der unterschiedlichen Gruppierungen. Doch es waren nicht nur die „einfachen“ Kämpfer dabei, sondern auch Leute, die auch Liedertexte neu verfassten oder gar komponierten. Beispielhaft erwähnt seien hier Max Barthel und Heinrich Lersch, die für die unterschiedlichen Richtungen sogar Lieder neu erschufen.


Kategorisierung des Liedmaterials
Vielfach wird sich nach der Kategorisierung gerichtet, die Wolfgang Steinitz in den 1950er Jahren aus dem vorhandenen Material und natürlich den politischen Vorgaben der Partei, also der SED aufstellte. In dieser Situation hatten natürlich die Kategorien „Arbeiterlied“  (jene mit Hymnencharakter), „Arbeitervolkslied“ oder „Folklorisiertes Arbeiterlied“ einen parteipolitischen Sinn, wie dann auch in der Aufarbeitung deutlich wurde.

Bereits Ernst Hermann Meyer hatte diese Aufteilung für die Zeit der Weimarer Republik in einer Rezension des zweiten Steinitzschen Bandes Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten als unzureichend kritisiert. Er bezog sich allerdings in erster Linie auf die Lieder der Agitproptruppen, die er nicht eindeutig klassifiziert sah. (siehe: Wolfgang Steinitz, (Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Berlin (DDR) 1962 [Reprint Westberlin 1979], Bd. 2, S. XXff.)  

Da sich bis dato keine Alternativen angeboten hatten, hatte ich 2002 – unter Berücksichtigung einiger Überschneidungen – eine neue Kategorisierung vorgeschlagen. Ergänzt um zwischenzeitliche Erkenntnisse würde das heute für die Zeit der Weimarer Republik folgendermaßen aussehen:

1.  Lieder der traditionellen Arbeiterbewegung,
2.  internationale Lieder,
3.  Lieder russischer Herkunft (aufgrund der besonderen Stellung Russlands und der russischen Revolution,
4. Lieder nach Texten von Autoren der entsprechenden politischen Partei (sortiert nach SPD, KPD und für die Zeit bis 1933 auch NSDAP oder christlichen Arbeiterorganisationen)
5.  Frontkämpferlieder,
a) Frontkämpferlieder diversen Ursprungs,
b) Soldaten-Kampflieder,
die später um eine weitere Kategorie ergänzt wurden:
6.  Lieder der Agitproptruppen und des politischen Theaters  

Der Begriff der fünften Kategorie „Frontkämpferlied“ wird nötig, um diese Szene von ehemaligen Frontkämpfern als spezielles Phänomen zu betrachten (die zweifellos hohe Anzahl Jugendlicher, die nicht am Krieg teilnahmen, sollte dabei nicht unterschätzt werden). Hierein gehörten natürlich auch die Lieder von KAPD, USPD, Vertretern einer Nationalbolschewistischen Vorstellung usw.

Da auch die Übernahme ehemaliger Soldatenlieder (hauptsächlich aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs) so eine sinnvolle Analysemöglichkeit bietet, ist die Unterteilung in „Frontkämpferlieder“ und „Soldaten-Kampflieder“ nötig. (Siehe auch: Werner Hinze, Die Schalmei und Schalmeienklänge im Fackelschein)

Des Weiteren findet bei jenen, die diese verschleiernde Sprache benutzen, eine eklatante Geschichtsverfälschung statt (ausgenommen Werner Fuhr). So werden von historischen Ereignissen nur negative der Nazis, aber auch der Sozialdemokratie, positiven der KPD entgegengesellt. Während es bei den Nazis größtenteils berechtigt war, gibt es bei den Kommunisten genug Beispiele, die keine positive Darstellung erlauben. Ich will aber auch nicht verhehlen, dass es in jener Phase wohl keine Partei ohne gravierende Fehler gab. Das will ich an dieser Stelle nicht weiter ausweiten, ich verweise aber z. B. auf das Buch „Bluttage“, indem ich ausreichend Beispiele zur KPD dokumentiert habe (ausschließlich aus Original Dokumenten der Partei und diverser Archive.

Auch wenn einem Autoren die untersuchte Partei, Gruppe oder sonstige Organisation ideologisch nahe stehen, hat er immer noch die nötige wissenschaftliche Distanz herzustellen, was weder bei dem Herrn Professor noch bei seinem Lehrling der Fall ist.

Es gibt wichtigere Fragen zu klären! Fragen, die uns eventuell auch heute helfen könnten, Dinge zu verstehen. Das betrifft natürlich alle Parteien. Was wurde damals falsch gemacht? Warum liefen erschreckend viele Leute zu den Nazis usw. Dabei sind durchaus auch Fragen, die uns bei der Analyse einiger Probleme seit der Wiedervereinigung helfen könnten.


Einige Beispiele für hin und her gewanderte Lieder
Die von den zum Glück wenigen Leuten behaupteten Diebstähle sind nichts als normaler musikalisches Alltagsgeschäft in jenen Tagen, als allgemein noch mehr gesungen wurde.

Außerdem, das Lied „Auf, auf zum Kampf“, das von den KPD-Agitatoren Dithmar und Lehrling als „Liebknecht-Luxemburg-Lied“ bezeichnet wird, ist ein altes deutsches Soldatenlied aus dem Krieg 1870/71 und wurde auf Kaiser Wilhelm genauso wie auf andere deutsche Monarchen jener Tage gesungen. Die Sozialdemokraten sangen es 1908 auf August Bebel, dann die Kommunisten auf die beiden oben genannten und die SA auf Adolf Hitler. Was ist da die besondere (kommunistische) Leistung? Es gibt sie nicht!
Als „Leunalied“ bezeichnen die KPD-Agitatoren das Soldatenlied „In Bosnien sind viele gefallen“ usw. usw. Es sind in erster Linie Soldatenlieder, die von allen ehemaligen Frontkämpfern gesungen worden waren.

Das der Adaptionsprozess nicht, wie behauptet, einseitig war, wurde schon gesagt, doch hier noch zwei Beispiele für die Nutzung von „Nazi-Liedern“ durch Kommunisten.

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