AG Exilmusik
(vorher: Musik und Nationalsozialismus)
Eine seit 1982 aktive Friedensgruppe am
Musikwissenschaftlichen Institut (MuWi) der Universität
Hamburgkonkretisierte am 8. Mai 1985 eines ihrer Vorhaben und machte in
einer besonderen Aktion auf das Thema der NS-verfolgten Musiker
aufmerksam. Mit einem Quader von 2,5 m Höhe und 1,2 m im Quadrat
auf dem ca. 2oo Namen von Musikern, Musikpädagogen, Publizisten
und Komponisten angebracht waren, erinnerte sie vor dem MuWi in Form
einer Mahnwache. Als Ende 1987 die Musikbibliothek der Hamburger
Öffentlichen Bücherhallen anregte, eine Ausstellung
übervergessene Hamburger Musiker und Musikerinnen zu gestalten,
konstituierte sich die „Projektgruppe Musik und
Nationalsozialismus“ (MNS). Das Ergebnis war die Ausstellung
„Zündende Lieder - Verbrannte Musik“, die im
Dezember1988 in der Musikbibliothek gezeigt und von mehreren
beispielhaften Musikveranstaltungen begleitet wurde.
Von vorneherein war überlegt
worden, nicht allein an die Schicksale von einzelnen Menschen erinnern
zu wollen, sondern darüber hinaus einen Einblick in die Strukturen
der musikkulturellen Wirklichkeit unter den Bedingungen des NS-Regimes
Einblicke zu geben. Zugleich war das Thema regional begrenzt. Exponate
waren (a) Fotos von Personen, Orchester, Gebäuden, (b)
Schriftstücke aus Konzert- und Theaterprogrammheften, Zeitungen,
Zeitschriften und Büchern, (c) Tonbänder mit
ausgewählter Exilmusik einerseits und Propagandamusik
andererseits, (d) originale Quellen bzw. Objekte wie Manuskripte von
Kompositionen, Nazi-Liederbücher, ein Volksempfänger.
Insgesamt konnten 11 große Tafeln und 6 Vitrinen gefüllt
werden. Die gut besuchte Ausstellungseröffnung war nicht zuletzt
durch die Anwesenheit von Ehrengästen aus der Gruppe der
Verfolgten bestimmt, so Berthold Goldschmidt, Mirjam Gilles Carlebach
und Jost Michaels. Ein Katalogbuch von 150 Seiten (VSA-Verlag) erschien
zur Ausstellung.
Die Ausstellung, die zu anderen Gelegenheiten
gezeigt worden war, wurde 1995 überarbeitet und u.a. beim
evangelischen Kirchentag in Hamburg gezeigt. Neben inhaltlicher
Straffung und einer klareren Übersicht wurde in einer zweiten
Auflage des Katalogbuches darüber hinaus neue Forschungsergebnisse
veröffentlicht. Die Ausstellung ist auch
weiterhin auszuleihen.
In Zusammenhang mit der Ausstellungsvorbereitung
war die AG auf den Komponisten Paul Dessau (1894-1979)gestoßen,
von dem die wenigsten wissen, daß er nicht nur in Hamburg geboren
und aufgewachsen ist, sondern auch seine Laufbahn als Komponist und
Dirigent an der Hamburger Oper und den Kammerspielen begonnen hat. Eine
seiner wichtigsten Kompositionen ist das DEUTSCHE MISERERE, das er
zusammen mit Bert Brecht 1943-47 im US-amerikanischen Exil geschrieben
hatte. Dieses abendfüllende und personell Aufwendige Oratorium
(100Instrumentalisten und 200 Sänger), das die Darbietung von
Groß-Dias aus Brechts „Kriegsfibel“ zwingend
vorschreibt, war vorher erst zweimal aufgeführt worden. Ein
großer Trägerkreis verhalf zur Realisierung der
Aufführung am 1. September1989 (Antikriegstag) aus Anlaß des
50jährigen Jahrestags des Überfalls Deutschlands auf Polen.
Das Konzert in der ausverkauften großen Musikhalle in Hamburg war
ein außerordentlicher Erfolg. Als späte Wirkung des
Konzertesveranstaltete die Hamburger Kulturbehörde sowie andere
Kulturinstitute der Stadt im September 1994 die HamburgerMusikwochen
mit dem Schwerpunkt Paul Dessau. Neben Konzerten, und einem
wissenschaftlichen Kolloquium fand eine umfangreiche Ausstellung statt,
die von der inzwischen in „AG-Exilmusik“ umbenannten Gruppe
konzipiert und fertiggestellt worden war.
Am 22. März 1990 veranstaltete die Gruppe ein
Konzert im Forum der Musikhochschule unter dem Thema „Musik imKZ
Theresienstadt“. Zu Gehör kamen in diesem Konzert Lieder,
Chöre und Kammermusik von Komponisten, die in Theresienstadt
inhaftiert waren und unter diesen extremen Bedingungen komponiert
haben.
1993 beteiligten sich mehrere Mitglieder des
Vereins und Sympathisanten der AG als Autoren an dem Buch „Musik
im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale
Musikkultur“, hg. v. Hanns Werner Heister, Claudia Maurer Zenck
und Peter Petersen (Fischer Verlag, jetzt bei 2001). Ein Jahr
später erschien im von Bockel Verlag das Buch
„BertholdGoldschmidt. Komponist und Dirigent. Ein Musiker-Leben
zwischen Hamburg, Berlin und London“. Goldschmidt, der am17.
Oktober 1996 verstarb hatte alle Texte, die von der AG aus
Interviewmitschnitte gewonnen worden waren, gegengelesen und somit
autorisiert.
Zur Zeit bereitet die AG einen Beitrag zum
Internationalen Brahms-Kongreß vor, der vom 7. bis 12. April 1997
aus Anlass des „hundersten Todestages“ von Johannes Brahm
in seiner Geburtsstadt Hamburg stattfindet. Der Beitrag wird in einer
Dokumentation der Feiern zum „hundertsten Geburtstag“ des
Meisters im Mai 1933 in Hamburg bestehen. Unter dem Titel
„Reichs-Brahms-Fest“ fanden damals zahlreiche Konzerte
sowie - am 7.5.33 - ein Staatsakt in der HamburgerMusikhalle statt. Da
die Vorbereitungen des Festes natürlich schon 1932 begonnen
hatten, verspricht das Material auch Erkenntnisse über den Verlauf
der „Wende“ in der angeblich so stolzen und liberalen
Bürgerstadt.