Der Erste Weltkrieg
Eine erste
„Zwischenkriegszeit“
Es ist noch nicht lang her, da
lehrte man in deutschen Schulen, das die Zeit
zwischen 1871 und 1914 die längste
Friedenszeit bis dato gewesen sei. Für die
Situation innerhalb der deutschen Grenzen mag das
sogar stimmen, doch betrachten wir – gar
nicht mal die Geschichte der Welt, sondern
„nur“ jene in Europa - so sieht das
doch erheblich anders aus. Die Landkarte jener Tage
unterscheidet sich von der heutigen erheblich. Wir
sehen eine Phase voller Kriege und Krisen. Das
zerfallende Osmanische Reich wurde bereits
sukzessive aufgeteilt bzw. diverse Völker
begannen ihren eigenen Staat auf diesem Gebiet
aufzubauen: Rumänien, Bulgarien, Serbien oder
Bosnien. Im Zuge dieser Entwicklung, auf die an
dieser Stelle nicht detailliert eingegangen werden
kann, kam es zu einer Reihe von Kriegen.
Beispielhaft erwähnt seien: Das Osmanische
Reich gegen Serbien (1876-78), Russland (1877-78),
Griechenland (1897) oder Italien (1911-12).
Die beiden anderen
Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn und
Russland waren mit unterschiedlicher Motivation an
Kriegen beteiligt. Russland führte außer
dem oben erwähnten Krieg bewaffnete
Auseinandersetzungen mit China (1900) und Japan
(1904-05). Österreich-Ungarn annektierte
Bosnien und Herzegowina (1908).
Neben den imperialistischen
Kriegen und Aufständen um Selbstbestimmung gab
es eine Reihe kolonialer Konflikte. Frankreich
führte Krieg gegen China (1884-85) und Siam
(1893). England kämpfte in Birma (1885-86) und
Tibet (1903-04). Unter diesen Aspekt sind auch die
Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Reich
und Frankreich bzw. Großbritannien
einzuordnen. Bei zwei Marokkokrisen rangen Deutsche
und Franzosen um den Einfluss in Nordafrika und in
einem Streit mit England ging es um die
Vorherrschaft auf den Weltmeeren. Direkt vor dem
Ersten Weltkrieg kam es außerdem zu zwei
Balkankriegen, in die sich die europäischen
Großmächte einmischten.
In diesen Kriegen hatten sich
die für den Ersten Weltkrieg prägenden
Bündnisse ergeben. Nach dem Attentat von
Sarajevo auf den Thronfolger Franz Ferdinand am 28.
Juni 1914 kam es zur sogenannten Juli-Krise. Das
Österreichische Ultimatum (23. Juli) an
Serbien wird allgemein als zu hart
eingeschätzt und der deutsche
„Blankoscheck“ vom 5./6. Juli gilt als
Grundvoraussetzung für die unnachgiebige
Haltung der Donaumonarchie. Die russischen
Interessen auf dem Balkan und ihre selbsternannte
Schutzmachtfunktion für Serbien führten
zur Generalmobilmachung, die wiederum zur
österreichischen Generalmobilmachung
führten und dem Deutschen Reich die
Möglichkeit gab, die russische Gefahr
propagandistisch zu nutzen - ein wichtiger Aspekt
für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung,
für die Kriegskredite zu stimmen. Nach einem
Ultimatum an Frankreich, sich neutral zu
erklären (31. Juli), der deutschen
Kriegserklärung an Russland (1. August), einem
Ultimatum an Belgien, Deutschland Durchmarschrecht
zu gewähren (2. August) folgte die
Kriegserklärung an Frankreich und der
Einmarsch deutscher Truppen in Belgien (3. August).
Am 4. August erklärte dann
Großbritannien Deutschland und am 8. August
Österreich-Ungarn den Krieg. Die Frage der
Kriegsschuld kann an dieser Stelle nicht diskutiert
werden. Sie ist durch die Veröffentlichung von
Christopher Clark, „Die Schlafwandler“,
gerade neu entbrannt.
1914/15 Das erste Kriegsjahr
zwischen nationaler Kriegsbegeisterung,
Abenteuerlust, Abschiedsschmerz und Tod
Der Kriegsausbruch wurde in
den Großstädten Europas mit einer Welle
der Begeisterung aufgenommen. Überall
marschierten erschreckend viele Menschen aus dieser
Stimmung hinaus in den Krieg.
Der deutsche Angriff ging als
schneller Bewegungskrieg planmäßig los.
Die belgischen und französischen Fortanlagen
(Lüttich, Longwy, Maubeuge) wurden
zerschlagen, Antwerpen wurde abgeriegelt, und ein
Sieg in den Grenzschlachten zwang die Franzosen zum
Rückzug bis hinter die Marne.
Doch der Widerstand der
französischen Armee führte vom 5.-10.
September zu ihrem „Wunder an der
Marne“. Die deutsche Offensive war vorerst
gescheitert und die französische
Gegenoffensive unter dem Oberbefehl Joffres zwang
die Deutschen zum Rückzug bis hinter die
Aisne. Die deutschen Truppen erhielten den Befehl,
sich einzugraben, und der zermürbende
Stellungskrieg nahm seinen Anfang. Deutsche
Durchbruchversuche scheiterten, wurden aber, wie am
Beispiel Langemarck zu sehen war, als Beispiel
für die Opferbereitschaft und
Kriegsbegeisterung der jungen Kriegsfreiwilligen
zum Mythos hochstilisiert. Im November 1914 war die
Front zwischen Kanalküste und Schweizer Grenze
auf einer Länge von 750 km zum Grabenkrieg
erstarrt, der vier Jahre dauern und zum
Charakteristikum des Ersten Weltkriegs werden
sollte.
Die geschürte
Kriegsbegeisterung
Dass der Krieg für viele
überraschend kam, können wir
beispielsweise einer Äußerung des
Verlegers Eugen Diederich entnehmen:
„Wir Verleger waren in
den ersten Wochen des Krieges wie vor den Kopf
geschlagen. Der Buchabsatz hörte mit einem
Male fast ganz auf. Es ergab sich aus meiner
Einstellung zur Jugend, mit der ich die alten
Volkslieder gemeinsam sang, daß mein erstes
Bestreben war, die Kriegslieder sozusagen zu
organisieren, damit die Soldaten im Felde etwas
anderes zu singen hatten als die abgedroschenen
Kasernenlieder.“1
Es gab allerdings eine
umfangreiche Basis und eine entsprechende Stimmung
in den Medien und im Volk. Zur Basis gehörte
neben verschiedensten Fürsten und Landesherren
beispielsweise auch Kaiser Wilhelm und die
Kaiserliche Volksliedkommission.
Im Oktober 1915 wurde in der
Büchersammelstelle der königlichen
Hausbibliothek für Lazarett- und
Feldbibliotheken eine Organisation zur Versendung
von Gesangsnoten und Instrumental- und
Orchestermusik eingerichtet. Finanziert wurde sie
u. a. auch von deutschen Musikverlegern. Der
Berliner Musikverlegerverein ließ z. B. ein
Heft von 10 Männerchören drucken und in
8000 Exemplaren der Sammelstelle übergeben.
Mit einem Plakataufruf wurde die Bevölkerung
um Notenspenden gebeten. Gewünscht waren
besonders Soldatenliederbücher,
Männerchöre, Militärmusik und
heitere Musik. Die Noten sollten an bestimmte
Musikalienhandlungen in allen Städten des
Reiches abgegeben werden, von wo aus sie an die
königliche Hausbibliothek weiterbefördert
wurden. 1917 sollen 6000 Notenpakete
zusammengekommen sein, die ins Feld versandt
wurden.
Desweiteren bewilligte Seine
Majestät 1916 u.a. die Mittel zum Druck einer
Sammlung von 24 Männerchören, bestehend
aus Chorälen, Volks- und Vaterlandsliedern,
welche später in 1000 Partituren und 40.000
einfachen Stimmen als „Spende Seiner
Majestät des Kaisers für die
Chorvereinigungen im Felde“ versandt wurden
(Elbers S. 49). Außerdem wies er die
königliche Hausbibliothek im königlichen
Schloss zu Berlin an, den Truppenteilen
vaterländische Kompositionen für
Männerchöre auf Anforderung unentgeltlich
zu übersenden.
Doch auch andere
gesellschaftliche Gruppen beteiligten sich. Als ein
„Beispiel für das Zusammenwirken
verschiedener Kräfte bei der Entstehung von
Soldatenliederbüchern“ nennt Elbers die
acht Hefte der Reihe „Alte und neue Lieder
mit Bildern und Weisen“. Die Stadt
Frankfurt/Main hatte zur Förderung des
Volksliedes einen Betrag bereitgestellt. Der Kaiser
bestimmte, davon eine Sammlung von
ausgewählten Volksliedern zu schaffen, die
für die Soldaten im Feld geeignet seien. Die
Liederhefte wurden daraufhin von Mitgliedern der
Kaiserlichen Volksliedkommission und dem Verband
deutscher Vereine für Volkskunde
zusammengestellt und herausgegeben. Außerdem
erfolgte 1918 auf Anregung des Oberkommandos der 7.
Armee die Neuauflage der Feldausgabe des
Volksliederbuches für Männerchor von 1907
in Zusammenarbeit mit der Kaiserlichen
Volksliedkommission und dem preußischen
Kultusminister. Die Herstellungskosten trug die 7.
Armee und die Kaiserliche Volksliedkommission. Die
Neuauflage war laut Vorwort um Lieder ergänzt
worden, die „besonders in die jetzige
Kriegszeit passen und sich draußen
großer Beliebtheit erfreuen“.
Ein weiteres Beispiel liefert
die Kriegstätigkeit der Essener Spinnstube,
die u.a. die vier Hefte starke Reihe „40
schöne alte und neue Soldatenlieder“
herausgegeben hatte. Mit Unterstützung des
städtischen Kriegsliebesdienstes und der Firma
Krupp hatte sie bereits 123.000 Liederbücher
ins Feld geschickt. Nach eigenen Angaben hatte der
Verein bis 1915 „dank der Opferwilligkeit
namhafter Essener Bürger und Firmen, der
Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes sowie des
städtischen Kriegsliebesdienstes über
200.000 Flugblätter mit Liedern und
Liederbüchlein“ herausgegeben.
Außerdem seien von der Sammlung
„Eiserne Zeit“ 700 Exemplare vom
Männerhilfswerk Pforzheim an die Verwundeten
verteilt. worden (Elbers, Anm. 172).